Auf der Spur nomadischen Lebens in Berlin
von Brit Beneke
Fotos:
briti bay fotodesign
Baustelle auf dem Weg
Der vorgesehene Weg, am Spreeufer entlang, endet abrupt. Ein Bauzaun steht quer zum Trampelpfad. Eine große ausgehobene Grube klafft vor uns. Der Bauarbeiter schüttelt den Kopf: „Hier geht es nicht weiter. Da hinten kommen Sie nicht durch.“ Die urbane Realität schiebt sich in das Kunstprojekt, welches sich mit Urbanität auseinandersetzt. DREAM CITIES oder: THE WASTE LAND ist der Prolog des Festivals CROSSING IDENTITIES - BEGINNERS, EXPERTS, HYBRIDS von Urban Nomads/Mongol Citiziens. Das Festival präsentiert vom 13. bis 15 Juni 2014 im Berliner Radialsystem V Kunst und Kultur der Mongolei im Dialog mit internationaler zeitgenössischer Kunstentwicklung. Internationale Künstlerteams setzen sich mit der sozialen Realität der mongolischen Städter auseinander. Fragen der transkulturellen Identität und modernen Nomadentums werden verhandelt. Dass dieses Festival „kein Ufo ist, sondern in der Umgebung des Radialsystems andockt und Verbindung herstellt“, erklärt die Kuratorin Berit Schuck. Sie hat zwei Outdoor-Parcours entwickelt, auf denen die Teilnehmenden sich jeweils zu zweit oder dritt auf einen insgesamt drei Stunden dauernden Weg machen. An insgesamt sechs Stationen wird jeweils bis zu 15 Minuten verweilt, um dann zur nächsten Station zu ziehen. Jede Station bietet ein eigenes Programm. Die Parcours wollen Orte moderner Nomadenkultur in Berlin aufzeigen. Auf einer Strecke geht es beispielsweise über das „Teepee Land“ am dem Radialsystem gegenüberliegenden Spreeufer. Dort leben Roma, Punks und Dauerurlauber in Zelten und Tipis inmitten des Stadtzentrums. An dieser Station gibt es einen Workshop im Tipi-Aufbau.
:
Mit Kopfhörer auf Parcours
Auf dem Parcours, der an der Jannowitzbrücke beginnt, hat sich der Bauboom Berlins in den Weg gestellt. Wir können den Trampelpfad am Ufer nicht weiter nutzen, sondern sind gezwungen, einen Umweg über die Straße zu nehmen. Bisherige Brachen werden bebaut, so auch in der Rungestraße zwischen den Josetti Höfen und der c-base, der ersten Station des Parcours. Hier, in den Vereinsräumen der Computerfreaks, läuft der Film über das Chaos Communication Camp 2011, bei dem Hacker aus der ganzen Welt für ein paar Tage gemeinsam in der Nähe von Berlin zelten und direkt kommunizieren.
Portrait einer mongolischen Musikerin in der Ausstellung von Mareike Günsche
Für die nächste Strecke werden wir mit MP3-Player und Kopfhörer ausgestattet. Der Künstler Christoph Rothmeier hat aus Audioaufnahmen aus der Mongolei ein Hörstück mit dem Titel SOUNDS LIKE SHUT UP AND OTHER TRACKS kreiert. Mit aufgesetzten Kopfhörern machen wir uns auf den Weg. Ich schrecke zusammen, denn hinter mir geht plötzlich ein Presslufthammer los. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass auf der Baustelle Ruhe herrscht. Der Presslufthammer kommt aus den Kopfhörern und dröhnt somit in Ulan Bators Straßen. Ich höre mongolischen Straßenlärm. Doch nach einiger Zeit wandere ich akustisch durch die Steppe. Bei jedem Schritt springen die großen Heuschrecken mit lautem Zirpen auf und schwirren mit ihren Flügeln mehrere Meter davon. Während ich die Köpenicker Straße entlang gehe, begegne ich einer Schafherde. Lautes Geblöke und unruhiges Getrappel um mich herum. Dann sind da plötzlich Menschen. Sie reden sparsam und ruhig. Jemand melkt eine Kuh. Sie muht dabei. Der Strahl der Milch ergibt einen rhythmischen hellen Klang im Eimer. Dabei rauschen die Autos auf den Berliner Straßen an mir vorbei. Es erfordert einige Konzentration zugleich in der Mongolei zu sein, dem Verlauf des Parcours zu folgen und dabei auf den Verkehr zu achten.
Kuratorin Berit Schuck
Auf dem Gelände des Radialsystems angekommen, stellt ein Ger (mongolische Jurte) die nächste Station dar. Hier präsentieren Wissenschaftler und Studierende der Habitat Unit des Institutes für Architektur der Technischen Universität Berlin ihre Forschungen über Ger-Siedlungen in Ulan Bator.
Christoph Rothmeier
An einem Zaun auf dem Gelände hängen etwas schüchtern die Portraits mongolischer Künstler und Künstlerinnen, die von Mareike Günsche fotografiert wurden. Es ist ein neues Projekt der jungen Fotografin, die in Ulan Bator wohnt und arbeitet. Auf dem Parcours zeigt sie erste Arbeiten dieser Serie, in der die Vielfalt und Individualität der zumeist prekär lebenden Künstlerpersönlichkeiten zum Ausdruck kommen.
Fotografin Mareike Günsche
Abschluss dieses Parcours bildet der Dokumentarfilm von Sven Zellner „Preis des Goldes“. Dem Filmemacher und Fotografen ist es gelungen, den Alltag der Männer abzubilden, die illegal, unter härtesten Bedingungen in der Wüste Gobi nach Gold graben.
Filmemacher und Fotograf Sven Zellner
Vom 8. bis 11. Juni bilden die Parcours den Auftakt des Festivals, das am darauffolgenden Wochenende mit Performance-Projekten und Installationen, Ausstellungen, öffentlichen Workshops, einer Konferenz, Konzerten, experimenteller Live-Musik und Gesang, DJ-Sets, Tanz, Fotografie und Filmscreenings aufwartet.
8.-11.6.2014
"Dream Cities oder: The Waste Land"
13.-15.6.2014
Festival CROSSING IDENTITIES - BEGINNERS, EXPERTS, HYBRIDS von Urban Nomads // Mongol Citizens