Von der Weide zu den Atomen
Ein Viehzuechter leitet das Akademieinstitut fuer Physik und Technologie


Institutsdirektor Ts. Baatar vor dem Tagungshotel mit dem Jahrbuch 2000 des bulgarischen Akademieinstituts fuer Nuklearforschung und –Energie

Von Hugo Kroepelin

1945. Die Amerikaner zerstoerten Hiroshima und Nagasaki mit Atombomben. Hunderttausende unschuldige Menschen wurden auf der Stelle getoetet oder so stark verstrahlt, dass sie Jahre und Jahrzehnte darunter zu leiden hatten und viele an den Spaetfolgen starben. Im selben Jahr erblickte in der Steppe bei Baruunturuun im Bezirk Uws in der Jurte des Viehzuechters Tseepeldorj der erste Sohn als zweites von spaeter acht Kindern das Licht der Welt. Baatar (Held) nannten ihn die Eltern.

Baatar machte diesem Namen auf mongolische Art und Weise Ehre. Im Baruunturuun gehoerte er 1963 zu den Besten derer, die die allgemeinbildende Zehnklassenschule beendeten. Alle Tore standen ihm offen, und der Aratenjunge bewarb sich fuer das Physikstudium an der Mongolischen Staats-Universitaet in Ulaanbaatar. Auch hier kniete er sich tief in die fuer einen Jungen aus der Landwirtschaft ungewohnte Materie. Mit Bestnoten auf dem Diplom wurde er 1968 im Institut fuer Physik und Technologie der Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Da sich der junge Baater der nuklearen Physik verschrieben hatte, war seine erste Arbeitsstelle die dafuer bereits 1956 eingerichtete Abteilung. Nahezu gesetzmaessig delegierte ihn die Akademie 1976 zum Vereinten Kernforschungsinstitut der sozialistischen Laender nach Dubna, wo er 1982 den Grad eines Kandidaten der Wissenschaften und 1990 den Doktortitel erwarb.

"Dubna mit seinen geistigen Groessen und seiner hervorragenden Ausstattung haben inzwischen Dutzende Mongolen durchlaufen", stellt der heute 56-Jaehrige fest. Zu verschiedenen Kursen und Arbeiten seien immer fuenf bis sieben Mongolen in der Grossforschungsstelle in der Naehe von Moskau. Viele von ihnen wuerden spaeter fuer Lektionen vor den Physikstudenten der einheimischen Staats-Universitaet herangezogen. Baatar und fuehrende Mitarbeiter des Instituts, das er seit 1990 leitet, sind auch in staendigem Kontakt mit Kernphysikern in Irkutsk, Nowosibirsk-Akademgorodok, mit dem Internationalen Institut fuer theoretische Phusik im italienischen Triest. Auch die Beziehungen zu den Kollegen in Ostdeutschland, die schon zu DDR-Zeiten aufgenommen worden waren, laufen weiter. Nicht zu vergessen sind die Wissenschaftlervereinigung MAGATE, die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) in Wien sowie die TH Aachen, wo Baatar zuletzt drei Monate zu einem Studienaufenthalt weilte.

Dass die Mongolei international mitreden kann, zeigte Baatar in der ersten Haelfte des September 2002 auf dem 6. Internationalen Workshop in Warna. "Relativistic Nuclear Physics: from Hundreds of MeV to TeV" war das Generalthema der Veranstaltung, die dem herausragenden sowjetischen Forscher Baldin gewidmet war. Ts.Baatars Vortrag ueber "Characteristic of secondary particles produced in П_С interaction at 40 GeV/c and QCD semihard processes" hat bei den Kollegen aus den USA und aus mehreren europaeischen Staaten starken Anklang gefunden.

Die Grundlagenforschung seines Instituts, das sich weit im Osten von Ulaanbaatar, in der Naehe des Hauses der Offiziere befindet, erstrecke sich auch auf Festkoerperphysik und Biophysik. "Einige Mitarbeiter, die frueher bei uns forschten, haben wir inzwischen als Fuehrungskraefte an Betriebe abgegeben, die Sonnenbatterien produzieren. Einige sind auch fuer internationale geologische Expeditionen vorgesehen, mit denen nach Mardai (Ostaimag) kuenftig noch andere Uranvorkommen im eigenen Land erkundet werden sollen.

Dass es seinem Institut – es zaehlt 125 Mitarbeiter, davon 80 Wissenschaftler - besonders gut geht, will Baatar nicht behaupten. Sein Jahresetat belaeuft sich auf 150 Millionen Tugrik (500 Tugrik sind nicht ganz eine Mark!). Aber "grosse Spruenge" koennten sich derzeit alle Forschungseinrichtungen des Landes nicht leisten, fuegt der Direktor hinzu. "Dazu sind unser Staatshaushalt einfach zu angespannt und die Not zu gross." Das wertvollste Geraet der Physiker der Akademie uebrigens ist ein amerikanisches Atomic Absorption Spectrometer "Perkins Elemer 6500", das hocheffektiv ausgenutzt wird.

Die harte Warnaer Arbeitswoche, die lediglich von einem Ausflug nach Nessebar unterbrochen wurde, verging wie im Fluge. Auch Baatar ist inzwischen wieder an die Kernforschung zu friedlichen Zwecken in seine Heimat zurueckgekehrt. Ob er hin und wieder in den Uws faehrt oder fliegt? Diese Frage verneint der Institutsdirektor. Alle seine Geschwister haben eine Hochschulbildung erhalten, sind in der und rundum die Hauptstadt Lehrer oder Historiker oder Agrarier mit Diplom. Wie Baater, seine Frau und seine vier Kinder sind sie jetzt nur noch Verbraucher von Hammelfleisch und Stutenmilch, die ihre Eltern einst auf der Weide des Baruunturuun-Sum mit ihren grossen Herden produziert hatten. Und Beziehungen zu Verwandten auf dem Lande sind fuer die Hauptstaedter vor allem zu den Feiertagen wichtig: da holt man frischen Airag den Sommer ueber und Hammelfleisch aus erster Hand zum Naadam und und zum Tsagaan Sar. Andererseits sind viele Menschen in Ulaanbaatar die Einkaeufer von Haushaltwaren und anderen Erzeugnissen, die in der Provinz nicht immer ankommen.

Quelle: mit freundlicher Genehmigung von Hugo Kröpelin, News Stories Photos aus Berlin und Brandenburg
(Oktober 2001)


   

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