Manfred Langes "zweite Wanderschaft" –
Dortmunder Meister half bei Existenzgründung in der Mongolei

Von Hugo Kröpelin / Ulaanbaatar

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"Sacher´s Cafe" nahe der Mongolbank ist die mongolische Wiege der deutschen Brezel.

Über 20 Sorten Gebäck führt das Cafe

"Bitte kommen Sie noch zu uns!" bat ihn händeringend die Chefin einer Bäckerei in Ulan-Bator. Doch der Seniorenobermeister der Konditoren von Dortmund und Bochum hat in der Heimat zu tun: Die Innung feiert in Kürze ihr hundertjähriges Jubiläum, und Manfred Lange muss die Festbroschüre verfassen. Knapp fünf Wochen waren genug, und sein Werk steht: Auf der Flaniermeile zwischen dem Hauptpostamt und dem "Center Point", in dem zu sozialistischen Zeiten ausländische Diplomaten einkaufen konnten, ist eine Bäckerei und Konditorei mit 32 europäischen Erzeugnissen und zwölf Snacks etabliert worden.

"Rein ins kalte Wasser! Nun musst Du dich freischwimmen!" sagte der 66jährige auf der Abschiedsparty mit Dortmunder Bauernlunch und Pfefferpotthast in Brotkümmlein. Sein Schütz-ling ist der 30-jährige Belgier Bernard van der Haegen. Als dessen Entwicklungsprojekt ausgelaufen war, wollte er in der Mongolei eine Existenz gründen. Freunde in der Heimat rieten ihm von einem Reiseunternehmen ab und empfahlen ihm etwas Kulinarisches. Mitte Mai traf ich ihn beim Vertreter des Senior-Experten-Service (SES) in der Filiale der Konrad-Adenauer-Stiftung. Zwei Monate später war der Senior zur Stelle.

"Ich möchte gern jungen Menschen das weitergeben, was ich vor über 40 Jahren auf der Wanderschaft empfangen habe", motiviert Manfred Lange seinen Entschluß. Sein Wandergesellenbuch von damals ist voll mit Eintragungen aus England, Schottland, Schweden, der Schweiz und Frankreich. Sein eigenes Cafe verpachtete er 1990, 30 Jahre hatte er es geführt und darüber hinaus noch als Gewerbelehrer und Dozent der Handwerkskammer gewirkt. Auch in Brasilien und Bolivien bot ihm der SES neue Wirkungsfelder an. Doch der Rentner entschied sich für die Mongolei.

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Das Team in der Backstube von "Chez Bernard",

mit dem sich Manfred Lange auf Englisch verständigt

"Ich habe meine Schularbeiten gemacht", resümiert Manfred Lange. Der Kundenzuspruch gibt ihm recht. Denn bei mehreren Vergleichen war "Chez Bernard" stärker besucht als "Sacher’s Cafe" 300 Meter um die Ecke in der Nachbarschaft dreier großer Banken. Dabei ging bei weitem nicht alles glatt. "Vor allem die Stromabschaltungen sind Gift für die Produktion", sagt der Meister, "auch die schwankende Stromspannung machte uns Schwierigkeiten." Ofen, Maschinen und Geräte aus aufgelösen Bäckereien Belgiens waren mit Zutaten und Werkzeug in zwei Containern angekommen. Der junge belgische Geschäftsführer, der einen Privatkredit von 50 000 USD in sein Unternehmen gesteckt hat, musste schon im ersten Monat das Personal einmal komplett austauschen. "Wir haben alle Gebäcke achtmal gebacken. Dabei stellte sich heraus: Die einen wollten nicht lernen, andere waren lernunfähig, einer war auch unehrlich", erzählt Bernard. "Selbst von den beiden gelernten Bäckern musste ich mich trennen. Die ignorierten des Meisters Hinweise und ließen jederlei Mitdenken vermissen."

Auch andere Schwierigkeiten stellten sich bald ein. "Auf Buttercreme- und Sahnegebäck mussten wir wegen der großen Hitze verzichten. Auch ist die mongolische Butter dafür nicht geeignet", bedauert Manfred Lange. Auch die Herstellung von Pralinen sei nicht möglich, weil Geschmacksträger, Destillate und Kleingerät fehlen, die Küvertüre nicht der notwendigen Qualität entspricht und kein geeigneter Raum vorhanden ist. "Bei anderen Erzeugnissen mussten wir oft improvisieren und probieren. Zum Beispiel habe ich alle Backrezepte auf die unterschiedliche Mehlqualität abgestimmt."

Zum Gelingen des Vorhabens hat auch die kleine europäische Kommune in Ulan-Bator beigetragen. Bei den Russen bezieht Bernard Eier und Milch, Werner Klöfer aus Deutschland liefert für die Snacks geräucherten Schinken, Wurst, Mett und Wiener Würstchen. Auch Gewürze hat er in der Hinterhand. "Vielleicht entdecke ich bei Produzenten und Händlern aus Europa noch mehr Waren, mit denen ich mein Angebot attraktiver machen kann", so der belgische Geschäftsmann.

Fred Forkert, SES-Mann vor Ort und mit 14 Jahren deutscher "Doyen" in der Mongolei, erinnert sich an die Bäckerei-Szene der 80-er Jahre. "Viele Frauen aus der DDR buken ihren Kuchen selbst, manche ließen sich sogar Mehl aus Deutschland kommen, um sich Brot im eigenen Herd zu backen. In den sowjetischen Geschäften wurden meistens nur Torten verkauft, die für den Mitteleuropäer zu fett und zu süß waren." Aus dem einheimi-schem Kombinat "Tschicher-Boow" (Zucker-Gebäck) kam ähnliches in die Läden.

Manfred Lange hat beobachtet, dass nicht wenige Mongolen an die Ladentheke treten und ihr stumm wieder den Rücken kehren. "Bei einem Durchschnittsverdienst von 40 000 Tugrik im Monat kann eben manche Mutter ihren Kindern keinen Kuchen für 1200 Tugrik pro Stück und sich keinen Cafe au lait für 1000 Tugrik kaufen." Doch die Preise seien "gerechtfertigt angesichts der Aufwands für Importsteuer, Zoll und Transport."

Am sonnigen Nachmittag bekommt man auf der Hochterrasse nicht selten keinen Platz mehr. "Croissant, Pizzen und Wurstbrötchen gehen ganz gut, und von unseren acht Sorten Brot werden Pide türkischer Art und Toast gefragt", stellt Bernard fest. Von der Idee bis zur Realisierung hat er genau ein Jahr gebraucht. Die letzten Möbel, sämtlich von einem mongolischen Tischler, wurden erst installiert, als der deutsche Meister schon angetreten war. Die Mitbewerber auf dem Markt haben uns ein ausgewogenes Sortiment und gute Qualität bescheinigt. Brigitte Cummings, Chefin von Sacher’s Cafe, schließt sich an. Sie berichtet von erheblichen Problemen in ihrer Bäckerei und fragt: "Haben Sie nicht einen deutschen Gesellen für mich?"

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Danke! sagt der junge Belgier
und reicht ihm eine künstlerische Hülle für die Flasche Arkhi

Manfred Lange ist mit einer Fülle von Eindrücken heimgeflogen. Knatternde Wasserhähne waren die "Wecker" in seinem Wohnhaus, viel Kindergeschrei und ein halbes Dutzend Hunde haben ihn manchmal um seine Nachmittagsruhe gebracht. "Doch das fällt alles nicht ins Gewicht", meint er. "Ich habe einem jungen Mann geholfen, sich in einem fremden Land in meinen Metier zu etablieren, und ihm alles vermittelt wie der Vater seinem Sohn. Nur das zählt!" unterstreicht er den Nutzen seiner "zweiten Wanderschaft." Die Verbindung zu dem jungen belgischen Existenzgründer werde nicht abreißen. Eine lange Liste mit Bestellungen und Aufträgen hat er mit auf die Reise genommen. "Und über Fax und E-Mail kann man dringende Fragen schnell beantworten."

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Die Janjin-Mütze ist die würdige Ehrung

für den Ehrenobermeister der Konditoren von Dortmund und Bochum

"Danke für alles, was wir von Dir lernen durften", sagte die 27—jährige Dambyn Zolmon im Namen des jungen Teams, das acht Mitarbeiter umfasst. "Komm bald wieder und das so schnell wie möglich", fügte sie hinzu. Eine Business-School hat sie absol-viert und macht für Bernard einen großen Teil der Büroarbeit. Eine "Janjin"-Mütze überreichte sie dem Ehrenobermeister aus dem Ruhrpott. Die tragen sonst mongolische Ringer, wenn sie in die Arena treten, oder Bräutigame beim Gang zum Traualtar. Manfred Lange führt jetzt mit "Chez Bernard" eine Art Fernehe über 7000 Kilometer. Im zeitigen Frühjahr will er mit seiner Frau wieder kommen und die neue Verbindung auffrischen.

(veröffentlicht in "Deutsche Bäcker-Zeitung" Nr. 45/2000)

Quelle: mit freundlicher Genehmigung von Hugo Kröpelin, News Stories Photos aus Berlin und Brandenburg
(Dezember 2000)


   

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