Text: Willi Breuer
Fotos: Günter Metze
Als der Airbus A 310 auf der Landebahn von Ulaan Baatar
aufsetzt, habe ich seit Wochen zum erstenmal das Gefühl, daß nun wirklich nichts mehr
schief gehen kann. Und unserer Mongolei Rundreise steht nichts mehr im Wege.
Aber alles der Reihe nach. Auf einer Rußlandtour 1995 fassen mein Freund Günter Metze
und ich den Plan, uns bei der nächsten Motorradreise etwas weiter nach Osten vorzuwagen.
Die neuesten Reisepläne lösen bei unseren Frauen völlig
unterschiedliche Reaktionen aus:
Bei Günters Uschi finden wir volle Unterstützung für unser Vorhaben, während
meinem Schatz die Sache zu exotisch vorkommt. Vorerst werden die Reisepläne zum Tabuthema
erklärt und nur dann aufgegriffen, wenn Freunde zu Besuch kommen. Im Laufe der Zeit
werden die Vorbehalte geringer, und ich kann mit Günter den Vorbereitungsteil starten.
Deutsche Welle in der Mongolei
Es kann doch nicht so schwierig sein, entsprechende
Reisebücher zu finden, denken wir. In den nächsten Wochen wird fast jeder Buchhandel in
unserer Umgebung von uns heimgesucht. Die "Ausbeute" ist denkbar gering:
Zwischen meterweise USA, Kanada und Australien Reisebüchern finden wir allenfalls ein
Exemplar über die Mongolei.
In wochenlanger Suche haben wir insgesamt vier Reisebücher verschiedener Autoren
gefunden, die für unsere Vorbereitung etwas taugen.
Alle Auflagen sind neueren Datums und sehr informativ, die Autoren haben eigene
Reiseerfahrung. Allerdings ist keiner von ihnen mit eigenem Motorrad in der Mongolei
unterwegs gewesen.
Jemanden kennenzulernen, der über persönliche
Reiseerfahrungen verfügt, das wärs. Wie so oft im Leben hilft der Zufall weiter.
Auf einem Sommerfest lerne ich einen Redakteur der Deutschen Welle kennen. Wir reden über
unsere Reisepläne. Zufällig kennt er zwei Fernsehleute, die einen Dokumentarfilm in der
Mongolei gedreht haben.
Einige Wochen später treffen Günter und ich die beiden. Ihre Begeisterung für das Land
und die Menschen springt auf uns über. Wir sind nun wild entschlossen.
Auf der Suche nach weiteren Informationsquellen werden wir im Internet fündig. Frank Voßen aus Bonn kann nicht nur über eigene Erfahrungen berichten, sondern schafft auch Kontakte zu einem mongolischen Studentenpaar. Oyun und Erdenesuch versuchen nun in den nächsten Monaten, uns die Eigenheiten der mongolischen Sprache etwas näher zu bringen. Wie sich bei der späteren Reise herausstellt eine absolut notwendige Sache, denn außerhalb der Hauptstadt sind die Fremdsprachen - Kenntnisse der mongolischen Nomaden, ausgenommen russisch, eher bescheiden.
Würstchen - Blockade
Auf meine Frage, ob er sich mit dem alten
"Hübbelchen"- so wurde die 18 Jahre alte XT 500 auf unserer Rußlandreise
getauft denn wirklich in die Mongolei traut, kommentierte Günter mit der Bemerkung:
" Wieso denn nicht, ist doch nichts dran". Fakt ist, daß er tatsächlich jede
Schraube an der XT persönlich kennt. Dies und die Tatsache, daß Günter sein Moped
zerlegt und wieder zusammensetzt wie andere Leute ihre Krawatte, binden hat mich davon
abgehalten, ihn zu einer neueren und vielleicht zuverlässigeren Variante der XT zu
überreden.
Wochenlang bringen wir damit zu, die Motorräder pistentauglich herzurichten. Größere
Tanks, stabile Kofferträger, Halterungen für Benzin und Wasserkanister, Kettenkit und
Crossreifen, um nur die aufwendigsten Dinge zu nennen, werden angeschraubt.
Nach einer Probefahrt zum "Tesch Treffen" nach Malmedy werden die XTs in
Kisten verpackt und zur einer Spedition nach Stuttgart gebracht. Vier Wochen, so der
Sachbearbeiter, sollten ausreichen, um die Maschinen per Transib nach Ulaan Baatar zu
bringen.
Mit Riesenschritten kommt der Abreisetermin auf uns zu. Mit jedem Tag werde ich unruhiger. Zweifel kommen auf. War die Vorbereitung ausreichend, halten die Maschinen, gibt es vielleicht vor Ort Schwierigkeiten mit den Behörden?
Dann der Schock: Zehn Tage vor unserer Abreise erhalten wir
ein Fax von der Spedition. Darin wird uns mitgeteilt, daß der Container mit unseren
Maschinen an der polnisch/weißrussischen Grenze wegen einer fehlenden Transitgenehmigung
für Würstchen festgehalten wird. Lukatschenko (der weißrussische Präsident) läßt
schön grüßen.
Wir setzen Himmel und Hölle in Bewegung. Telefonate mit dem Auswärtigen Amt und der
deutschen Botschaft in Ulaan Baatar lassen unsere Hoffnungen auf den Nullpunkt sinken. Die
Spedition müht sich, wir bekommen von jedem Fax in dieser Angelegenheit eine Kopie.
Tage verstreichen. Zwei Tage vor unserem eigentlichen Reisestart dann der absolute Hammer:
Man teilt uns mit, daß die Motorräder Deutschland nie
verlassen haben und seit Wochen auf dem Hauptbahnhof in Berlin stehen.
Was tun? Sollen wir jetzt aufgeben? Zwei Jahre Vorbereitungszeit, alle Mühe und Arbeit -
von den Kosten ganz zu schweigen - alles umsonst?
Ein nicht so ganz freundlicher Anruf bei der Spedition bringt die Wende. Man verbindet uns
mit dem zuständigen Abteilungsleiter. Herr König ist selber Motorradfahrer und kann sich
sehr gut vorstellen, was in uns vorgeht. Allein ihm haben wir es zu verdanken., daß die
Maschinen zwei Wochen später per Flugzeug, zu Lasten der Spedition, nach UB gebracht
werden.
Also kann das Unternehmen "Transmongolia" - wenn auch mit erheblicher
Verspätung - doch noch starten.
Festnahme in Ulaan Baatar
Wir sind froh, daß Oyun, unsere Sprachlehrerin ihren Urlaub in UB verbringt und uns am Airport abholt. Mit ihrer Hilfe erledigen wir den Behördenkram - Spedition, Zoll, Hotel mit Garage und Anmeldung bei der Polizei - in einem Tag. Wie wir später erfahren, ist das absoluter Rekord für Ulaan Baatar.
Ausgeschlafen und gut gelaunt starten wir am nächsten Morgen.
Mit schwerbepackten Motorrädern fahren wir in Richtung
Zentrum. Neugierige Blicke, hupende Autofahrer, die anerkennend den Daumen nach oben
strecken, begleiten uns auf dem Weg zum Regierungsviertel. Der Aufkleber
"GERMAN" in mongolischer Schrift auf unseren Alukoffern outet uns vorzeitig als
Langnasen.
Den riesigen Suchbaatarplatz, zwischen Regierungsgebäude und Hauptpost, mit dem Monument
des Staatsgründer in der Mitte, wählen wir als passenden Ort für ein Tourenstartfoto.
Wir parken die XTs exakt vor dem Denkmal. In Minutenschnelle sind wir von 30 bis 40
Leuten umringt. Einer der Neugierigen ist auch bereit, Günter und mich zu fotografieren.
Bevor wir dazu kommen, uns richtig vor unseren Maschinen zu postieren, sind wir schon
verhaftet.
Fünfzehn Minuten später sitzen wir auf dem Polizeipräsidium. Gegenüber einer total
überfüllten Zelle dürfen wir Platz nehmen. An diesem idyllischen Ort vermischt sich der
Geruch von Urin, Hammel und Schweiß zu einer Komposition, die ich noch wochenlang in der
Nase habe.
Was schreibt Fred Forkert in seinem Reisehandbuch? Den Herren in der blauen Uniform geht
man am besten aus dem Weg. Mit unserer Sprachlehrerin haben wir zig Situationen geübt,
eine Verhaftung war leider nicht dabei. Die Situation wird immer hektischer. Ich glaube,
ich weiß woher der Schweißgeruch kommt.
Es dauert rund eine Stunde, bevor man eine Dolmetscherin gefunden hat. Wir können endlich
unsere Situation erklären. Der diensthabende Offizier - er ist es der nach Hammel riecht
- erklärt uns, daß es verboten ist, mit einem Fahrzeug den Suchbaatarplatz zu befahren.
Nachdem das gesamte Präsidium die "Langnasen" begutachtet hat, lassen wir noch
eine kurze Belehrung - in mongolisch - über uns ergehen.
Wir bekommen unsere Papiere zurück und treten den Rückzug an.
Vier Schildkröten aus Granit
Die von Dschinghis Khan gegründete alte Hauptstadt Karakorum
soll sich unmittelbar in der Nähe des heutigen Char Chorin befunden haben. Vom alten
Karakorum künden nur noch vier Schildkröten aus Granit. Eine davon findet man an der
Mauer des Klosters Erdenezuu.
Der Weg nach Karakorum gehört zum einfachen Teil einer Mongoleireise.
Von UB aus folgt man der Teerstraße nach Arwaicheer. Nach 290 km, hinter einer Brücke,
beginnt die Piste. Ein erster Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird.
Zu unserer Überraschung ist diese Piste für mongolische Verhältnisse stark
frequentiert. Russenjeeps mit meist japanischen Touristen überholen uns. Wir wissen, an
der nächsten Pistenkreuzung treffen wir uns wieder.
Geheimnisvolle Steinsetzungen
Kein mongolischer Reisende würde an diesen geheimnisvollen
Steinhaufen vorbeifahren, ohne seine Opfergabe dort abzulegen.
An Pistenkreuzungen, Brücken oder Furten findet man in aller Regel einen Owoo. Ein bis zu
zwei Meter hoher Steinhaufen, geschmückt mit Gebetsfahnen, Geldscheinen, leeren Flaschen
und Pferdeköpfen.
Die Tradition verlangt, daß man den Owoo dreimal im Uhrzeigersinn umrundet und dabei
seine Opfergabe - das können auch einfache Steine sein - ablegt.
Unser erster Owoo ist in jeder Hinsicht ein Erlebnis. Wir treffen eine Gruppe japanischer
Studentinnen. Ihrer Begeisterung, deutsche Motorradfahrer mit Yamahas zu treffen,
versuchen sie Ausdruck zu verleihen indem, sich jede neben den Mopeds fotografieren
läßt.
Nachdem Günter ihnen erzählt hat, daß wir in Deutschland sechs Wochen Urlaub haben,
dürfen wir mit aufs Bild.
Kaum vorstellbar, daß einst in der Klosteranlge 10.000
Mönche lebten. Heute gehen nur wenige Lamas der Ausübung ihrer Religion nach.
Günter und ich gehen in das Innere eines Tempels, versuchen uns so unauffällig wie
möglich zu benehmen. Obwohl wir kein Wort von den Gebeten der Mönche verstehen, und es
mit meiner Religiosität auch nicht weit her ist, bin ich gefesselt von der Atmosphäre.
Unter der Anleitung von steinalten Lamas praktizieren vorwiegend junge Mönche ihre
Religion.
Ich weiß wenig vom Buddhismus, viele Dinge bleiben im Verborgenen. Nach zwei Stunden verlassen wir das Kloster. Irgendwo in dem Menschenknäuel müssen unsere XTs stehen. Alles was sich ohne Werkzeug bewegen läßt ist am Motorrad verstellt. Ich bin sicher, die meisten der grinsenden Jungs hat auch unseren Helm auf dem Kopf gehabt. Aber nichts fehlt. Ist doch super, oder?
Wir wollen noch einige Pistenkilometer unter die Stollen
nehmen. Der Orchon - Wasserfall ist unser Tagesziel.
Die Strecke wird nun anspruchsvoll. Jedesmal "loche" ich brutal ein, wenn der
Blick auch nur für Sekunden von der Piste weggeht. Wir halten manchmal einfach an, um die
wunderschöne Gebirgslandschaft auf uns wirken zu lassen. Endlich, so hatte ich mir die
Mongolei vorgestellt. Ein unendlich weites Tal liegt vor uns. In der Ferne einige weiße
Punkte deuten darauf hin, daß wir bald nicht mehr allein sein werden. Die ersten
Yakherden machen uns bewußt, daß wir uns schon im Gebirge befinden.
Wie steht das noch im Reiseführer: In der Regenzeit können Flußdurchfahrten zu einem
echten Problem werden. Gegen Wasserstände bis unter das Dach sollte man keine Bedenken
haben. Habe ich auch nicht. Wir sind ja nicht mit dem Geländewagen unterwegs.
Trotzdem flößt der "Bach" mir einigen Respekt ein. Also lieber auf die sicher
Seite. Zuerst zu Fuß durch die Pfütze, naß bis zum Knie. Das sollte also kein Problem
sein. Höflich wie ich bin, lasse ich Günter den Vortritt. Sein Hübbelchen hustet bei
der Wasserausfahrt verdächtig. Bei mir geht es, ich weiß zwar nicht warum, ohne
Schwierigkeiten.
Jetzt werde ich mutig. Den nächsten Fluß nehme ich mit
Schwung. Eine Bugwelle wie beim Stapellauf eines Frachters ist das Resultat.
Die nächste Furt ist dann die vorläufige Endstation. Beim "Auftauchen"
erwische ich eine tiefe Stelle. Die XT verschluckt sich und verweigert den weiteren
Dienst. Jetzt ist Schrauben angesagt. Günter und ich legen die gesamten Elektrik trocken.
Nach einer Stunde sind wir wieder startklar.
"Nohoi hori"
Haltet den Hund. Einer der ersten Sätze, die wir in unserem Sprachunterricht gelernt haben, und auf deren fehlerfreie Aussprache unsere Lehrer ganz besonderen Wert legen, gewinnt plötzlich an Bedeutung.
Wir nähern uns einer Jurte. Wie wir aus der Reiseliteratur
wissen, gehören zu jedem Ger - das mongolische Wort für Jurte - auch einige Hunde. Unter
anderem untermauern die Tiere ihre Daseinsberechtigung mit dem Vertreiben der Wölfe im
Winter.
Die drei Exemplare, die uns nun attackierten, befinden sich offensichtlich im
Sommertrainig. Wir versuchen zu entkommen. Auf dieser Piste sind allradgetriebene Hunde
uns jedoch überlegen. Neben mir taucht das erste diensteifrige Ungetüm auf. Meine Wade
bereitet sich auf den ersten Biß vor. Weit gefehlt. Der Hund überholt und nimmt Günter
aufs Korn. Oder ist er nur auf XT 500 abgerichtet? Nach einigen hundert Metern werden wir
uninteressant. Die Hunde, eindeutig die moralischen Sieger, drehen ab.
Für die weitere Reise sind wir gewarnt.
"Naadam" - die Hunnen lassen grüßen
Ein Leuchten zieht über das Gesicht eines jeden Mongolen.
Die Begeisterung für dieses Sport und Volksfest ist offensichtlich. In drei Disziplinen -
Pferderennen, Ringen und Bogenschießen - werden die jeweils Besten ermittelt.
Der Ursprung des Naadamfestes geht auf die Zeit der Alttürken oder gar Hunnen zurück.
Für die Krieger Tschingis Khans war es ein Art Wehrübung.
Heute wird das Staatsnaadam, Austragungsort ist Ulaan Baatar, am 11. bis 13. Juli eines
jeden Jahres als Erinnerung an die Revolution von 1991 ausgetragen. In den Provinzzentren
( Aimakzentrum ) findet das Fest oft zu anderen Terminen statt.
Unterwegs treffen wir immer öfter kleiner Reitergruppen, die
sich an Pistenkreuzungen oder Owoos zu größeren Gruppen zusammenschließen und
alle in die gleiche Richtung ziehen. Schnell finden wir den Grund dieser
"Völkerwanderung" heraus: Naadam in Char Chorin ( Karakorum ). Wir
schließen uns an.
Zum zweitenmal auf dieser Reise nähern wir uns der Stadt Karakorum. Diesmal werden wir
allerdings von Jeeps, Motorradfahrern und Reitergruppen eskortiert.
Autofahrer und mongolische Biker haben eines gemeinsam: Sie sind erst dann zufrieden, wenn
- egal wie schlimm die Piste aussieht - man den Langnasen gezeigt hat, was eine Harke ist.
In halsbrecherischen Aktionen werden wir an Stellen überholt, die man angemessen mit
Begsteigerausrüstung hätte passieren müssen.
Einmal wird es mir zuviel, und ich lasse mich auf einen
"Vergleich" ein. Meine Stollenreifen decken einen Idsch - Fahrer ( russischer
Zweitakter ) mit Schlamm zu. Er nimmt es relativ gelassen. Die Reiter jedoch, die unsere
Einlage beobachtet haben, springen für ihren Landsmann in die Bresche und nehmen das
Rennen auf. Meine Rennaufgabe wird mit fröhlichen Winken und Lachen quittiert.
Unser gemeinsames Ziel ist der Austragungsort für das Pferderennen. Die Rennen werden in
verschiedenen Kategorien über eine Distanz von 13 bis 35 Kilometer ausgetragen. Jockys
sind ausschließlich Mädchen und Jungen im Alter von fünf bis acht Jahren, die oftmals
ohne Sattel und Stiefel ins Rennen gehen.
Günter und ich versuchen, im Zielraum einen Platz zu bekommen. Dies ist nicht so einfach,
denn die meisten Zuschauer sind zu Pferd und haben das gleiche Ansinnen.
Wir haben Glück und bekommen einen Platz in der ersten Reihe. Allerdings veranlaßt man
uns, nach Mongolenart auf der Erde Platz zu nehmen, hinter uns ein Wald von Pferdebeinen.
In der Ferne tauchen plötzlich einige Geländewagen auf. Die
Zuschauer werden unruhig. Offensichtlich sind diese Autos die Vorhut der herannahenden
Rennreiter. Es dauert immerhin noch ca. 20 Minuten, bis das die ersten Reiter im Zielraum
auftauchen. Direkt vor uns steht eine ältere Dame, sie hat mit Hilfe von Günters
Fernglas offensichtlich eines ihrer Enkel in der Spitzengruppe entdeckt. Ihre Begeisterung
kennt keine Grenzen.
Für diese grandiose Leistung von Pferd und Reiter gibt es für meinen Geschmack viel zu
wenig Beifall. Offensichtlich sind Mongolen etwas zurückhaltender.
Zum Kippen zu schade
Plötzlich ist der Horizont voller schwarzer Wolken. Klar,
wir sind in der Regenzeit unterwegs. Bisher haben wir jeden Tag die Jacke naß gekriegt.
Wild sind wir diesmal nicht darauf, zumal meine Stiefel heute fast trocken geworden sind.
Also beschließen wir, den Rest des Naadam auszuklammern und einen entsprechenden Platz
zum Übernachten zu suchen.
In der Nähe eines Jurtencamps erwischt uns eine Hagelschauer. In Minutenschnelle lassen
die tischtennisball großen Hagelkörner Piste und Umland unter einer 30 cm dicken
Eisschicht verschwinden. An Weiterfahren ist nicht zu denken. Wir suchen Deckung unter
einem Bretterverschlag der als Eingang zum Camp dient. Diesen etwa 2 Quadratmeter großen
Platz teilen wir uns mit zwei mongolischen Familien, einem Motorrad und einem Schaf. Unser
Stellplatz befindet sich in einem leichten Hang. Hagelkornlawienen drohen unsere XTs
zu kippen. Neben mir steht einer kleiner Junge. Sein T - Shirt und die Hosen sind
triefnaß. Ich versuche, mich so vor ihn zu stellen, daß er aus der Hauptschußlinie der
Hagelkörne kommt. Bewundernswert seine Tapferkeit. Kein Ton kommt über seine Lippen.
Nach 30 Minuten ist der Spuk vorbei. Wir inspizieren unsere Motorräder. Günters XT
hat Federn lassen müssen. Ein Spiegel und der Drehzahlmesser sind hinüber.
Wir wollen weiterfahren, aber wo ist die Piste? Dort, wo wir sie vermuten, versuchen wir
hinzulenken. Alles ist unter den Hagelkörnern verschwunden. Von allen Seiten kommen
Bäche auf uns zu.
Ich folge einfach dem vor mir fahrenden Freund. Wie orientiert der sich eigentlich?
Günter treibt sein "Hübbelchen" manchmal durch Sturzbäche, daß mir beim
bloßen Hinschauen die Knie schlottern. Zurück geht nicht. Also muß ich hinterher. Mit
mehr Glück als Können überstehen wir die Wasserfahrten und können uns nach einer
Stunde Fahrt aufs Trockene retten.
Begegnungen
Der nördliche Changai gehört zu den landschaftlich
schönsten Regionen der Mongolei. Glasklare, fischreiche Seen eingebettet in unberührte
Berge, saftige, Edelweis bewachsene, nach Kräuter duftende Wiesen. Wälder säumen die
Paßstraßen die zum Teil bis auf eine Höhe von 2700 Metern führen.
Immer wieder Pferdeherden, deren Besitzer weit und breit nicht auszumachen sind. Je höher
wir kommen, um so häufiger treffen wir Yaks, die in der Nähe der Piste mit hoch
erhobenem Schwanz die Flucht vor uns ergreifen.
Unser Tagesziel ist der See Terchijn Tsagaan Nuur. Er liegt in Mitten eines Naturparks am Fuße des Vulkan Chorgo, der leicht und gefahrlos bestiegen werden kann. Die vulkanische Tätigkeit hat er vor etwa 6000 Jahren eingestellt.
Den Park erreicht man von der Stadt Tariadtaus über die Brücke des Sumyn Gol. Vor der Brücke befindet sich das "Kassenhäuschen" des Parkwächters. Eine kleine Gebühr, 1000 Tugrik ca. 1 US Dollar, wird erhoben. Nach der Brücke folgt man flußaufwärts der Piste, die für Zweiräder bald anstrengend wird. Scharfkantige Basaltbrocken, knietiefer Schlamm und Flußdurchfahrten machen es uns nicht gerade leicht, an den Seen zu kommen. Noch ein schwieriger Anstieg, und wir können "unseren" See sehen. Die Schinderei hat sich gelohnt. Vor uns im Tal erstreckt sich ein traumhaft schöner See. Nach 10 Minuten "Abstieg" sind wir am Seeufer. Wir sind nicht alleine. Zwei Familie aus Deutschland mit einem ganzen Troß mongolischer Begleiter hat diesen tollen Ort auch entdeckt. Irgendwie sind wir sogar froh, Landsleute zu treffen. Abends sitzen wir lange zusammen und tauschen unsere Erfahrungen aus. Für uns ist diese Unterhaltung sehr informativ. Wir haben Langzeitler ( Europäer mit Wohnsitz in der Mongolei ) getroffen. Familie Müller wohnt und arbeitet seit einigen Jahren im Auftrag der deutschen Regierung in der Mongolei.
Endlich gibt es auch Gelegenheit, unsere Speisekarte etwas
aufzuwerten. Wozu haben wir sonst die Angeln mitgeschleppt. Nach wenigen Minuten zieht
Günter einen großen Hecht an Land. Dieser findet sich filetiert abends in unserer
Bratpfanne wieder.
Wir beschließen, hier einen Ruhetag einzulegen.
Ausgeruht und mit frisch gewaschener Unterwäsche brechen wir in Richtung Tosontsengel
auf.
Auf dem Solongot Paß begegnen wir einer Nomadenfamilie, die mit Hab, Gut und dem ganzen
Viehbestand ein neues Weidegebiet sucht. Der gesamte "Hausstand" ist auf drei
Ochsenkarren verstaut. An diesen urtümlichen Wagen findet man kein Stück Metall: -
Achse, Naben und die Räder - alles aus Holz. Die großen Yakbullen mit ihren gewaltigen
Hörnern runden das Bild ab. Es folgen die Yak - und Pferdeherden. Den Abschluß der
Karawane bilden die Schafe und Ziegen.
Die Karawane stoppt. Auch wir halten an. Wir bestaunen uns gegenseitig. Dann folgen die
üblichen Fragen nach dem woher und wohin. Wir erkundigen uns nach dem Zustand der Piste
und erhalten die erwartete Antwort. Mittlerweile haben wir gelernt, uns lieber unser
eigenes Bild zu machen, denn für einen Nomaden zu Pferd oder den Ochsenkarren ist der Weg
auch dann noch gut, wenn er für Motorfahrzeuge absolut unpassierbar ist. Nach einer
gemeinsamen Zigarette verabschieden wir uns.
Zu Gast in einer Jurte
Über die Schwelle einer Jurte zu stolpern oder auf sie zu
treten, war zur Zeit der Khane ein toteswürdiges Vergehen.
Eine solches Mißgeschick wird heute vermutlich nicht mehr geahndet. Allerdings gilt es
immer noch als Zeichen von Unglück, wenn man auf die Schwelle der immer nach Süden
ausgerichteten Tür tritt.
Die Jurte, oder Mongolisch Ger, besteht aus mehreren Feldern Scherengitter, das entfernt
an den Deutschen Jägerzaun erinnert. Das Scherengitter wird kreisförmig aufgebaut. Meist
rot angestrichene Holzstangen bilden das Dachgerüst. Dieses Holzgerüst wird nun mit
mehreren Lagen Filz bedeckt. Die Abschlußdecke bildet ein weißes Leinentuch. An der
Kuppe läßt man eine Öffnung für den Rauchabzug des Jurtenofens, der stets im Zentrum
einer jeden Jurte aufgestellt ist.
Vom Eingang aus gesehen links steht zumeist der Airakbehälter und ein kleine
Wasserschüssel. Darüber findet man die Waschutensilien. Auf der Ost und der Westseite
steht jeweils ein Bett. Gegenüber von dem Eingang hat der Buddistische Altar, eingerahmt
von Familienfotos aller Art, seinen Platz.
Ein kleiner Tisch und mehrere niedrige Schemel vervollständigen das Inventar des Ger.
Zielsicher steuern wir an diesem Nachmittag drei
nebeneinander stehende Jurten an. Seit fast drei Tagen unterwegs im westlichen
Changaigebirge haben wir beinahe keinen Mensch gesehen. Wir brauchen einfach etwas
Gesellschaft und nähern uns wegen den Hunden vorsichtig. Kinder entdecken uns frühzeitig
und halten die Hunde fest.
Im Nu sind wir von unseren Gastgebern, sie wissen noch nichts von ihren Glück, umringt.
Nach der ausführlichen Begrüßung - wie geht es Ihnen, kommen Sie gut durch diesen
Sommer, und steht das Vieh gut im Futter - erkundigen wir uns nach einem weit entfernten
Reiseziel.
Die Leute geben sich alle Mühe, uns den Weg dorthin zu
erklären. Bis endlich jemand merkt, daß wir viel lieber dort bleiben würden.
Unser Zelt dürfen wir in der Nähe der Jurten aufbauen. Dabei haben wir ein Duzend
helfende Hände. Das technische Geschick der Nomaden ist bemerkenswert. Auch für sie ganz
fremde Dinge wie Aussenstangenzelt oder Benzinkocher werden nach wenigen Minuten
beherrscht.
Nach und nach lernen wir bei einem Begrüßungstee unsere Gastgeber, es sind drei
verwandte Familien, kennen. Gegen Abend löst sich die Runde langsam auf. Die Viehzüchter
müssen wohl oder Übel ihrem Tagesgeschäft nachgehen. Für uns beginnt einer der
schönsten Abende in der Mongolei.
Aufgabe der Männer ist es, die Herden heranzuholen. Dann beginnt die Arbeit für die
Frauen und Kinder. Eine Gruppe ist damit beschäftigt, die kurzbeinigen Tiere - Schafe und
Ziegen - zu melken.
Günter und ich haben uns entschlossen, beim Stutenmelken zuzuschauen. Hierzu werden die
Fohlen nacheinander von ihren kurzen Stricken gelöst und zur Mutterstute geführt. Man
läßt die Tiere nur wenige Minuten trinken. Einer der Männer führt das Fohlen dann zum
Kopfende der Stute, die immer noch denkt das ihr Fohlen trinkt. Während dessen kann die
Melkerin ihren Geschäft nachgehen. Begleitet wird der Vorgang durch hochtönige Rufe und
schmatzende Geräusche des Mannes der das Fohlen festhält. Die Melkerin entnimmt etwa ein
Liter pro Melkvorgang und das sechs bis achtmal je Tag. Danach werden die Fohlen wieder
angebunden. Und zwar so kurz, daß sie das Euter der Mutterstute nicht erreichen können.
In dieser Haltung verbringen sie den ganzen Tag. Nur nachts dürfen die Fohlen gemeinsam mit der Herde frei grasen und auch trinken. Aus der Stutenmilch wird der bei Mongolen über alles geliebte Airak hergestellt. Ich kann nur raten, mit großer Vorsicht diesem Getränk zuzusprechen. Für den Weg durch den Verdauungstrakt benötigt der leicht säuerliche Airak nur Minuten. Eine Strategie zum fluchtartigen Verlassen der Jurte mit einem anschließenden Spurt in die Steppe - vorausgesetzt man traut sich noch große Schritte zu machen - sollte man sich schon zurechtlegen, wenn man willens ist, die gleiche Menge Airak zu trinken, wie es üblicherweise der Gastgeber auch tun.
Kurz vor Sonnenuntergang bahnt sich ein Schauspiel an,
welches offensichtlich für uns inszeniert wird.
Die jungen Männer versuchen, mit Lasso und Urga - das ist eine lange Holzstange an deren
Ende eine Fangschlinge befestigt ist - einige Pferde aus der Herde zu fangen. Die Art und
Weise, wie die Tiere darauf reagieren, läßt den Schluß zu, daß sie großen Wert darauf
legen, ihre Freiheit zu behalten und einer drohenden Arbeit als Reittier möglichst aus
dem Weg gehen wollen. Denn darauf laufen die Bemühungen unserer Gastgeber hinaus.
Immer mit einem Seitenblick auf uns riskieren die "mongolischen Cowboys" Kopf
und Kragen, um der Pferde habhaft zu werden.
Zu viert wird eine junge Stute festgehalten. Man schnallt einen schmalen Lederriemen an
die Stelle wo üblicherweise der Sattelgurt sitzt. Auf weiters Zaumzeug wird verzichtet.
Der "Cowboy" setzt sich behutsam auf den Rücken der Stute. Die Helfer lassen
das Tier los. Nichts passiert. Das Pferd scheint völlig konsterniert. Einer der Helfer
verpaßt der Stute eine "Starthilfe". Und jetzt geht die Post ab. In wilden
Bocksprüngen rasen Roß und Reiter auf die frei Steppe hinaus. Wir verlieren beide aus
den Augen. Das " Bodenpersonal" macht sich auf die Suche nach den Beiden. Nach
ca. 30 Minuten kehrt der Suchtrupp mit den Beiden zurück. Sowohl Reiter als auch Pferd
sind Schweißnaß. Offensichtlich hat die Stute aufgegeben. Man nimmt ihr den Riemen ab,
sie trottet friedlich zur Herde zurück.
Bujan, so ist der Name des Rodeoreiters, ist sich unserer grenzenlosen Bewunderung sicher.
In der Zwischenzeit ist es dunkel geworden. Gemeinsam mit unseren neuen Freunden gehen wir zurück zu den Jurten. Man bittet uns zum Abendessen. Schnell noch zum Zelt und die mitgebrachten Geschenke einpacken, dann folgen wir Icker, Bujan und den Anderen.
In der Jurte sind sicher 15 Leute versammelt. Vom Großvater
bis zum Enkel warten alle auf das Eintreffen der Langnasen.
Kerzenschein und Feuer des Jurtenofens tauchen die Szenerie in ein eigentümlich Licht.
Günter und ich dürfen auf den niedrigen Schemeln Platz nehmen. Sofort reicht man uns
eine Schale Airak. Es folgen " weiße Speisen" Aruul - das ist luftgetrockneter
Magerquark - und eine Art Yoghurt. Die Hauptspeise, Reis und Hammelfleisch, ist
ausschließlich für uns zubereitet worden. Als Getränk wird gesalzener Milchtee
angeboten. Alles sehr schmackhaft zubereitet. Die in der Reiseliteratur verbreiteten
Vorbehalte gegen die Nomadenküche können wir nicht nachvollziehen.
Wir geben der Hausfrau zu verstehen, daß es uns sehr gut schmeckt. Üblicherweise tut man
dies durch lautes Schmatzen kund.
Unsere Mägen, auf die kleinen Portionen Travelerlunch
eingestellt, sind total überfrachtet. Jetzt ist es an der Zeit uns für die
Gastfreundschaft zu revanchieren.
Wir übergeben unsere Gastgeschenke. Bonbons in bunten Blechdosen und Baseball Kappen für
die Kinder, Taschenmesser, Taschenlampen und Fernglas für die Männer, sowie
Körperpflegeartikel und Kosmetika für unsere Gastgeberinnen. Die Übergabe der Geschenke
erfolgt nach einem bestimmten Ritus.
Die Geschenke werden mit der rechten Hand, der Unterarm sollte durch Kleidung bedeckt sein
und wird von der linken Hand am Unterarm gestützt, übergeben. Unsere mongolischen
Freunde geben uns zu verstehen, daß sie sich über die Mitbringsel sehr freuen.
Günter möchte die Szenen mit der Kamera festhalten. Doch Schnappschüsse sind schier
unmöglich.
Sobald eine Fotokamera auftaucht, wird es formell. Alle Anwesenden richten ihre Kleidung
und rücken in Positur. Stocksteif und mit todernstem Gesicht stellt man sich dem
Fotografen.
Bis tief in die Nacht dauert unsere Unterhaltung. Unterstützt durch ein Wörterbuch und
viele Gesten versuchen wir etwas von unserem Leben in Deutschland zu erzählen.
Erst weit nach Mitternacht gehen wir geleitet von der ganzen Familie zu unserem Zelt.
Der Abschied am anderen Morgen ist herzlich. Ich bin sicher, hier haben wir Freunde
gewonnen.
Die Flußpiraten
Wer lesen kann ist, eindeutig im Vorteil: Ein dummer Spruch,
der in der Gobi von besonderer Bedeutung werden sollte.
Schon zwei Wochen unterwegs, hätten wir viel weiter in Richtung Westen sein müssen. Nach
zwei Reisetagen erreichen wir den Ort Uliastai im Zawchan Aimak. Wir müssen uns
entscheiden. Das Altaigebirge zu erreichen, scheint nicht mehr möglich. Also drehen wir
nach Süden ab. Die Wüste Gobi und das Gobi Altaigebirge stehen auch noch auf unserem
Reiseprogramm.
Unendliche Geröllfelder, spärliche Vegetation, Saxaulsträucher, Zwiebelgewächse und
nur gelegentlich Sanddünen. Etwas anders hatte ich mir die Gobi schon vorgestellt.
Am südlichen Horizont erheben sich die Bergriesen des Gobi
Altai. Hier leben die seltenen Schneeleoparden, weiter südlich im Transaltai Gebiet gibt
es die letzten Exemplare des Gobi Bären. Aber nicht die seltenen Tiere sondern die Gobi
Seen sind unser Etappenziel.
In dem Ort Altai bunkern Günter und ich Benzin und Wasser. Auf eine zwei bis drei Tage
dauernde Fahrt ohne Versorgung müssen wir uns schon einrichten.
Die ersten 50 Kilometer folgen wir der Hauptpiste Richtung
Süd -Westen. Laut Reiseführer eine beliebte Route für Lastwagenfahrer, deren
Leidensbereitschaft Günter und ich nicht teilen. Kilometerlange
"Wellblechpassagen" garniert mit Tiefsandfelder machen uns die Entscheidung
leicht auf eine Nebenpiste auszuweichen.
Wir packen unsere Karten und das GPS aus. Günter sucht in der Russenkarte den Namen des
nächsten Versorgungsortes. Einen gleichklingenden Ort habe ich schnell in der englischen
Pilotenkarte ausgemacht. Die Koordinaten ins GPS eingeben dauert nur einige Minuten. Wir
verlassen uns mittlerweile blind aufeinander, so daß ein Karten und Koordinatenvergleich
nicht notwendig erscheint. Ein fataler Fehler, wie sich später herausstellen wird. Es ist
ohnehin nicht unser Tag. Am Nachmittag machen wir einen See am Horizont aus.
Die Aussicht auf einen Zeltplatz mit Wasserversorgung hebt die Stimmung enorm. Den können wir doch spielend erreichen. Also noch mal Dampf auf den Kessel und auf zu "unserem Strandbad in der Wüste".
Es dauert eine Stunde bis wir merken, daß der See sich mit
der gleicher Geschwindigkeit von uns wegbewegt wie wir auf ihn zufahren.
Für diesen Tag lassen wir es gut sein und suchen einen Platz zum Übernachten in einer
kleinen Talsenke.
Nach dem Abendbrot wollen wir den nicht ganz so schönen Tag gut ausklingen lassen. Wir
haben doch noch eine Flasche Wodka, also genehmigen wir uns etwas (zuviel) von diesen
Gesöff.
Die dritte schlechte Entscheidung an diesem Tag.
Als wir am nächsten Tag gegen 10 Uhr aufbrechen steht die
Sonne etwas zu weit im Osten. Oder sind wir etwa auf der falschen Piste?
Nach zwei Stunden "Wellblech" spüre ich die Handgelenke nicht mehr. Und dann
diese Sandfelder. Ich muß mich jedesmal überwinden Günters Rat zu folgen und voll
aus dem Sand raus zu beschleunigen. Trotz allen Bemühungen wedele ich wild und
unkontrolliert durch diese Passagen. Dafür gibt es garantiert keine gute Haltungsnoten.
Plötzlich endet die Piste vor einem Wüstenfluß. Wo kommt
der überhaupt her? An dieser Stelle gibt es keine Flüsse. Weiter südlich schon, daß
wissen wir aber hier.
Ganz in der Nähe stehen einige Jurten. Im Nu sind wir von den "freundlichen"
Flußanwohnern umringt. Das erstemal auf unserer Reise erleben wir, daß nicht alle
Mongolen gastfreundlich und hilfsbereit sind. Unsere Frage ob man den Fluß mit
Motorrädern passieren kann, quittieren einige der "Flußpiraten" mit obszönen
Gesten und hämischem Lachen.
Ausnahme sind zwei junge Männer, die uns wirklich helfen wollen. Sie versuchen uns zu
erklären, daß der Fluß an einer bestimmten Stelle durchaus passierbar ist. Um dies zu
beweisen stiefelt einer von ihnen durch das Wasser. Ich sehe in der Mitte des Flusses nur
noch seinen Oberkörper. Die Sache hat sich für uns erledigt.
Der "Oberflußpirat" bietet, an die Bikes mit seinem Lastwagen überzusetzen, zu
einem Vorzugspreis von 200 US Dollar, etwa das Jahresgehalt eines mongolischen LKW
Fahrers. Ziemlich sauer verlassen wir diesen ungastlichen Ort, aber wohin sollen wir
jetzt fahren?
Wir suchen in der Wüste einen Übernachtungsplatz. Dort wollen wir in aller Ruhe unsere
weitere Strategie festlegen.
Zwei Tassen Tee und ein gutes Abendessen öffnen den Horizont
für alle weiter Entscheidungen. Wir bestimmen mit Hilfe des GPS unsere Position und
übertragen diesen Punkt in beide Karten. Mich trifft fast der Schlag. Rund 130 Kilometer
weiter südlich als geplant sind wir gelandet. Mir wird schnell klar, wie das passieren
konnte.
Die Ortsnamen stehen üblicherweise in der Russenkarte in kyrillischer Schrift. Eine
Korrelation zu der englischen Schreibweise ist nur selten zu finden. Wir haben beim
Anpeilen nur die Namen der Orte und nicht die Koordinaten verglichen. Ergo sind wir auf
dem Weg zu einem Ort der annähernd in englisch so klingt wie er in kyrillische
geschrieben wird.
Mit großer Sorgfalt machen wir eine neue GPS Peilung. Wird das Benzin reichen? Eine bange
Frage die mich den nächsten ganzen Tag beschäftigt.
Obwohl wir im Abstand von mehreren Kilometern fahren, sehe ich aus wie das Sandmännchen.
Überall Staub. Wenn ich anfange, laut über die Piste zu schimpfen, spüre ich sofort Sand zwischen den Zähnen. Also lieber die Klappe halten und zusehen, daß mein Freund nicht zu weit am Horizont verschwindet.
Ich zwinge mich an etwas Angenehmes zu denken. Bilder von
Zuhause fallen mir ein. So langsam drückt die Gobi auf das Gemüt. Wenn einer von uns
beiden hier stürzt und sich eine Verletzung zuzieht, wird es haarig.
Ich erinnere mich an Günters Worte vom Vortag "Eine Tour im Schwarzwald wäre doch
auch ganz schön gewesen"
Das nächste Sandfeld zieht mich wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Wir quälen
uns weiter in die Richtung in der wir die Hauptpiste vermuten.
Nach einem weiteren Tag Fahrt erreichen wir den Ort Bajanchongor, das Zentrum des gleichnamigen Aimak.
Unter Geiern
Die Vegetation wird stärker. Wir sehen wieder Pferde und
Rinderherden. So langsam geht die Wüstenlandschaft in Steppe über. Mit jedem grünen
Halm mehr steigt meine Stimmung. Am Pistenrand sehen wir eine Gruppe Geier die sich über
ein verendetes Pferd hergemacht hat.
Die Aasfresser sind so vollgestopft, daß es ihnen nicht möglich ist, vor uns zu fliehen.
Einige Vögel schauen nur interessiert hinter uns her. Das Geierinteresse veranlaßt mich,
beim nächsten Stopp in den Spiegel zu schauen. Na ja, ganz so schlimm ist es nicht. Aber
eine gründliche Wäsche könnte ich schon vertragen. Wir halten Ausschau nach Wasser.
Stunden später führt die Piste uns an einen glasklaren Bach. Es gibt sogar einige Jurten
in der unmittelbaren Nähe. Günter und ich nutzen die Gelegenheit zu einer gründlichen
Wäsche.
Offensichtlich haben die vier Jungen Leute aus dem Jeep die gleiche Idee. Einer von ihnen,
der mit dem abgeschnittenen Hosenbein, hat es besonders nötig. Sein rabenschwarzes Bein
ist offensichtlich in diesem Jahr noch nicht mit Wasser in Berührung gekommen.
Als der junge Mongole näherkommt, erkenne ich meinen Irrtum. Das Bein des Mannes ist eine einzige offene, eiternde Wunde. Der Fuß ist bis zum Knöchel blau/schwarz angelaufen. Er muß fürchterliche Schmerzen haben. Vermutlich möchte er seine Wunde in dem Bach kühlen.
Günter wirft einen kurzen Blick auf die Wunde. Er ist genau so entsetzt wie ich, agiert nur viel professioneller. Wozu haben wir den ganzen Verbandskram eigentlich mitgenommen?
Mittlerweile sind alle Jurtenbewohner am Bach eingetroffen.
Von 20 bewundernden Augenpaaren beobachtet versorgt er die schlimme Wunde des jungen
Mannes mit einer Sachkunde die ich ihm nicht zugetraut hätte. Immer wieder höre ich
anerkennendes Raunen in der Runde der Zuschauer. Günters Patient wird noch mit
Schmerztabletten, Antibiotika und einen Medikamentenzettel für den Arzt versorgt, dann
verlassen wir - verfolgt von anerkennenden Blicken - den Ort.
Minuten später sind wir hinter einem Hügel verschwunden. Als er vor mir hertuckelt bin
ich richtig stolz auf ihn. Meine Anerkennung muß Günter noch etwas länger
"aushalten".
Wir erreichen Arwajcher, von hier aus führt eine Teerstraße
zur Hauptstadt. Nach einem Tag Rast in einem Jurtencamp treten wir die Heimreise nach Ulan
Batar an.
In den Bergen am Rand der Hauptstadt verbringen wir unsere letzte Nacht im Zelt. Die
Schornsteine der Fernheizkraftwerke hüllen den südlichen Teil der Hauptstadt in eine
Smogwolke. Der absolute Kontrast zu der nach Gras und Kräuter duftenden Wiese unseres
Lagerplatzes.
Was bleibt von dieser Reise? Erinnerungen an glasklare
Bäche, herrlich duftende Wiesen, grandiose Berge. An die Pferde und Yakherden, an Kamele,
Geier und angriffslustige Hunde.
Damit diese Bilder nicht verschwinden können, dafür hat unsere Fotokamera gesorgt.
Wichtiger jedoch waren die Begegnungen mit den Menschen. Ich schließe alle ein. Die "Flußpiraten", Leute die wir zufällig trafen, die unzähligen Kinder, die uns vom Pistenrand aus zuwinken, alle Hirten die bei fast jedem Aufwachen in der Steppe einfach da waren, junge buddhistische Mönche in den Klöstern, und nicht zuletzt unsere Freunde bei denen wir Gast sein durften.
Viele von ihnen werden in meiner Erinnerung bleiben. Als wichtiger Bestandteil einer Reise, die für mich die Reise meines Lebens war.
Zusätzliche Informationen zu Motorradreisen in der Mongolei
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Last Update: 03. Januar 2022