Und wir glaubten, wir hätten noch so viel Zeit

 

Den nachfolgenden Textentwurf hat Klaus-Dieter Bormann zwischen Dezember 2008 und März 2009 verfasst.
Gekürzt und leicht redigiert möchte ich Ihnen den Beitrag hier vorstellen und hoffe, damit im Sinne meines Mannes zu handeln. R. B.

 

In memoriam

Dr. Klaus-Dieter Bormann

* 01.11. 1949 † 15.03. 2009

 

„Jahr des Rindes" in der Mongolei - oder: Wohin reiten die Mongolen?
Am 25. Februar 2009 begann in der Mongolei das „Jahr des Erdrindes", das „Jahr der Maus" ging zu Ende.

Jetzt, im März, scheint es zu sein wie immer. Der „Granville" Pub im Zentrum der mongolischen Hauptstadt ist allabendlich gut besucht. Von seiner Ausstattung her könnte er auch in Berlin sein, gemütlich eingerichtet, mit freundlichem Personal, schmackhaften Speisen und dem guten „Chinggis Beer", der halbe Liter für 2.500 Tugrik – 1,25 Euro. In der Mongolei sind Frauen und Männer gleichberechtigt. So sitzen sie dann zusammen oder in Frauen- oder Männergruppen abends im Pub und reden über das, was junge Leute bewegt. Die Älteren sind deutlich in der Minderheit, sie verbringen die Abende meist zuhause vor dem Fernsehapparat, mit dem man, sollte ein Kabelanschluß vorhanden sein, über 50 Programme aus aller Welt empfangen kann – allerdings nur in Ulaanbaatar, Darkhan und Erdenet. Auf dem Lande muß man sich - sofern überhaupt Empfang möglich ist - in der Regel mit zwei oder drei mongolischen Sendern begnügen, Zeitungen kommen mit Bekannten recht unregelmäßig in die Jurte, gehen durch viele Hände und sind nach kurzer Zeit völlig zerlesen.

In der ganzen Stadt sind in den vergangenen Jahren neue Gaststätten entstanden, Hotels gibt es mehr als genug, weitere sind im Bau. Büroflächen kann man überall anmieten und freistehende Wohnungen gibt es im Überfluß. Die Geschäfte sind reichlich bestückt, im Angebot finden sich auch noch deutsche Waren, die von jeher sehr gefragt sind, die aber nur wenige kaufen können, weil ihnen das Geld dafür fehlt. In den Straßen und auf den Plätzen sieht man viele fröhliche Gesichter - das Leben scheint ganz normal zu laufen.

Doch das täuscht. Die vielen Armen, die in den Jurtensiedlungen am Stadtrand wohnen, sieht man hier nicht. Viele kamen in den vergangenen Jahren aus dem Landesinneren in die Hauptstadt, weil sie sich hier einen Job oder eine bessere medizinische Behandlung versprachen. Diese Wünsche erfüllten sich nicht. Einige sind so arm, daß die Kinder früh neben einer Tasse Tee nur ein mit wenigen Zuckerkrümeln bestreutes trockenes Brot bekommen. Die ehemals tägliche kleine Fleischration ist für viele dieser Familien unerschwinglich und das Fest war für sie nicht nur Anlaß zur Freude. E. Soyolmaa, Psychologin und Direktorin der Beratungstelle „LoveLanguage" dazu: „Wie in jedem anderen Land auch sind Familien-, Ehe- und Kindererziehungsfragen die Bereiche, wo die Schwierigkeiten und Notlagen besonders groß sind, verstärkt durch den Umbruch und die seit Jahren instabile politische und wirtschaftliche Lage des Landes (Verarmung, Arbeitslosigkeit, Migration, Misswirtschaft, Korruption u.a.); dementsprechend ist der Bedarf an psychologischen Hilfeleistungen sehr groß. Erscheinungen wie Straßenkinder, Scheidung, Alkoholismus, Selbstmord oder psychische Erkrankungen wie Depression haben beunruhigende Ausmaße erreicht. Die Suizidrate in der Mongolei ist z.B. laut einer Statistik der WHO zweimal so hoch wie im Weltdurchschnitt, und unter den Betroffenen ist der Prozentsatz von an Depressionen Erkrankten und Jugendlichen besonders hoch."

R. Amarjargal, Exministerpräsident und Abgeordneter des mongolischen Parlaments, erklärte vor wenigen Tagen in einem Pressebeitrag, daß sich die mongolische Wirtschaft „im freien Fall" befindet. Es wird für die Mongolei – so Amarjargal – „ein sehr kritisches Jahr werden, wohl das schwierigste seit der politischen Wende". Für Finanzminister Bayarzogt kommt es darauf an, „Arbeitsplätze zu sichern und die Folgen der Krise für die Bevölkerung gering zu halten." Er war es auch, der meinte, die weltweite Wirtschaftskrise würde die Mongolei aufgrund ihrer industrieellen Unterentwicklung weniger treffen als andere Länder. Man möchte ihm glauben, zumal sich die Regierung unter Ministerpräsident S. Bayar bemüht, Lösungswege zu finden. Aber: persönliche Differenzen und private Interessen unter den Palamentariern stehen dem oft im Wege. Es ist absehbar, daß alle Zweige der mongolischen Wirtschaft von der Krise betroffen sein werden und die reale Wirtschaft in Kürze zum Erliegen kommt. Damit wird sich die Arbeitslosigkeit weiter erhöhen und die versteckte noch sichtbarer werden. Schon im letzten Herbst war der Außenhandel drastisch zurückgegangen, waren die Preise für Kupfer und für Rohstoffe aus der Landwirtschaft - beides wesentliche Elemente des mongolischen Staatshaushaltes - stark gefallen. Der Kleinhandel ist weiter rückläufig und die Transportstrecken von Rußland und China nach Ulaanbaatar sind längst nicht mehr ausgelastet, der Personenverkehr hat insbesondere auf der stark frequentierten Strecke zwischen Zamyn Uud / Erlian und der Hauptstadt deutlich abgenommen. Dem Dienstleistungssektor gehen die Kunden aus. Banken tauschten zeitweise nicht mehr in Dollar und Euro, die mongolische Währung, der Tugrik, verfällt zunehmend, es gibt Gerüchte über Absprachen zwischen Banken und privaten Wechselstubenbesitzern. Am 8. März 2009 bewegte sich der Euro erstmals jenseits der 2.000-Tugrik-Grenze. Sorgen macht den Mongolen auch die nächste Ernte, die so wichtig für die Versorgung ist – und: Welche Verluste wird die MIAT in diesem Jahr einfliegen, da von Berlin/Moskau aus ab April beinahe täglich AEROFLOT-Maschinen über Moskau in die Mongolei fliegen. Im Energiesektor mußten neue Schulden aufgenommen werden und – die große Frage: Was wird der Konzern in Erdenet erwirtschaften und damit zum Steueraufkommen beitragen?

Die Frage aller Fragen aber: Was wird mit dem neuen Bergbaugesetz, wann wird es verabschiedet und zu welchen Konditionen?

Zum Glück ist der Winter bereits weit fortgeschritten und das Frühjahr absehbar. Bei Nachttemperaturen bis zu minus 40 Grad landesweit wurde die Beheizung der Jurten und Wohnungen zum Problem, in vielen Neubauten werden tagsüber +17 Grad nicht überschritten. Tägliche Strom- und Heizungsausfälle in allen Teilen Ulaanbaatars sind an der Tagesordnung - das ist Normalität und kaum jemanden stört es noch. Schuld sind nicht die alten Heizkraftwerke, die laufen auf Hochtouren und liefern noch ausreichend Energie. Es sind die Elektro- und Wasserleitungssysteme, viele schon 40-50 Jahre alt und in einem erbärmlichen Zustand. Doch auch in zahlreichen Neubauten ist die Strom- und Wasserversorgung sehr anfällig. Zum Bau verwendet wurden zumeist billigste Materialien aus China, erschwerend kommt hinzu, daß die Bauausführung schlecht ist, weil den mongolischen Bauarbeitern die notwendige fachliche Qualifikation fehlt. Eingesetzt werden insbesondere chinesische Bauarbeiter, die zu denkbar ungünstigen Konditionen arbeiten, aber trotzdem mehr Qualität liefern. Ein unlängst erfolgter Vorstoß der mongolischen Regierung, die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte um die Hälfte zu reduzieren, scheiterte an eben diesem Problem. Vielleicht ist das auch nicht mehr notwendig, die Krise „wird’s schon richten", Bauvorhaben werden eingestellt und die Bauwirtschaft kommt zum Erliegen. Ulaanbaatar wird eine Stadt der Bauruinen - sagen die einen, so schlimm wird es schon nicht werden - sagen die anderen. Die Mongolen sitzen gegenwärtig auf 1,6 Mrd. Dollar Schulden und dieser Berg wird weiter anwachsen.

Mongolische Karikaturisten haben gegenwärtig ein beliebtes Thema: Über 2 Milliarden US-Dollar sind seit Anfang der 90er-Jahre an Entwicklungs- und anderen Hilfen in die Mongolei geflossen. Wo sind sie geblieben? Ausländische Einrichtungen waren über 15 Jahre mit gutbezahlen Experten im Land tätig. Was haben sie erreicht? Das Land ist hoch verschuldet und die Armut hat zugenommen. Dabei reden wir über eine Gesamtbevölkerung von gut 2,5 Millionen Menschen, ziehen wir davon die auf dem Lande lebenden Viehzüchter, denen bisher kaum internationale Hilfe zugute kam, ab, bleiben noch 1,3 Millionen Einwohner in den Städten Ulaanbaatar, Darkhan und Erdenet, von denen heute viele ärmer sind als noch Jahre zuvor. … Aus meiner über 10jährigen ständigen Tätigkeit in der Mongolei weiß ich, daß viele Mongolen aktiv und ideenreich sind, aber ihnen fehlt das notwendige – geringe – Kapital, um eigene Unternehmen zu gründen. Dann könnten neue, langlebige Arbeitsplätze entstehen und die Versorgung der Familien verbessert werden.

In den vergangenen 10 Jahren habe ich ca. 50 mongolische und deutsche Unternehmen bei ihren Vorhaben in der Mongolei von der Betriebsgründung bis zur Marktpositionierung beratend unterstützt. Die meisten dieser Unternehmen haben sich erfolgreich entwickelt und sich auf dem kleinen mongolischen Markt feste Positionen erarbeitet. Ich war mit mongolischen Unternehmer- und Expertengruppen in Deutschland und wir haben uns dort mit Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft getroffen. Vieles wurde in der Folge umgesetzt, manchmal waren die Ansprüche zu hoch und es kam nicht zu weiterführenden Kontakten. Das ist normal, nicht alles gelingt.

Seit 6 Jahren arbeite ich darüber hinaus als Vertreter des Senior Experten Service (SES) in der Mongolei. Der SES ist die Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit und eine gemeinnützige Gesellschaft. Er wurde 1983 unter Obhut des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) und mit finanzieller Unterstützung des Bundesmisteriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ins Leben gerufen. Die SES-Zentrale in Bonn und 14 Büros in Deutschland halten Kontakt zur Wirtschaft und zu den Senior Expertinnen und Experten. Weltweit wird der SES durch mehr als 100 Repräsentanten vertreten.

Im Mai vergangenen Jahres konnte der 400. deutsche Experte in der Mongolei begrüßt werden, inzwischen sind es mehr als 420 Einsätze, die von ihnen in der Mongolei absolviert wurden. Damit liegt der SES, was seine Auslandstätigkeit angeht, in Asien nach China auf Platz 2 und weltweit auf Platz 7.

Diese Expertinnen und Experten unterstützen mit ihrem während eines Arbeitslebens erworbenen Fachwissen beratend praxisorientiert private wirtschaftliche und gesellschaftliche Unternehmen und Einrichtungen in der Mongolei. Alle Experten sind ehrenamtlich tätig, erhalten demzufolge kein Arbeitsentgeld, bekommen von der mongolischen Seite die Flugkosten und die Unterkunft finanziert. Für Verpflegung erhalten sie vom mongolischen oder vom in der Mongolei ansässigen deutschen Partner eine Wochenpauschale von 70 Euro. In begründeten Ausnahmefällen übernimmt die deutsche Seite einen Teil oder die gesamten Flugkosten von Deutschland nach Ulaanbaatar und zurück.

Mit Hilfe dieser Experten werden nicht nur vorhandene Arbeitsplätze gesichert, sondern auch neue geschaffen. Sie genießen in der Mongolei ein hohes Ansehen und werden als Träger deutscher Qualitätsarbeit gern eingeladen. Sie sind immer dann gefragt, wenn es konkrete Probleme gibt. Nahezu alle Experten finanzieren die eine oder andere Leistung in der Mongolei auch noch aus eigener Tasche. Trotzdem kommen viele ein zweites oder drittes Mal in die Mongolei, um hier bei der Umgestaltung und Entwicklung des politischen und Wirtschaftssystems mitzuwirken. Manche von ihnen sind mitunter etwas ungeduldig, wenn ihnen die Umsetzung ihrer Vorschläge nicht schnell genug geht. Es gibt inzwischen fast keinen Wirtschaftsbereich mehr, in dem SES Experten nicht tätig waren.

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