Die Deutsche Mongolei Agentur aus Ulaanbaatar präsentiert:

Neues aus der Mongolei
18. bis 24. Februar 2008

von Dr. Renate Bormann, Ulaanbaatar


Hochzeitsgesellschaft vor dem Sukhbaatardenkmal. 20.02.08

Präsidentenveto gegen Amnestiegesetz
Präsident N. Enkhbayar hat gegen Teile des Straffreiheitsgesetzes für Steuerschuldner sein Veto eingelegt. Straffreiheit auch im Falle der Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zuzusichern, widerspreche Bestimmungen der Verfassung, außerdem könne nicht so ohne Weiteres die Pflicht zur Einhaltung der Steuergesetze negiert werden.
Haushaltsausschussvorsitzender L. Purevdorj erklärte, das Abgeordnetenhaus müsse spätestens 14 Tage nach Beginn der Frühjahrssitzungen über das Veto entscheiden. Die Einberufung einer Sondersitzung sei nicht nötig.

Meinungsaustausch
Präsident N. Enkhbayar hat sich am 22. Februar mit Spitzenvertretern der im Parlament vertretenen Parteien zu einem Meinungsaustausch über die Änderungen am Bergbaugesetz und die Investitionsabkommen getroffen.
Der Einladung waren die Vorsitzenden der Republikanischen Partei, B. Jargalsaikhan, der Bürgermutpartei, S. Oyun*, der Partei des Volkes, L. Gundalai und der Neuen Nationalpartei, Ts. Tsolmon, gefolgt. Die DP wurde von Generalsekretär D. Dorligjav und dem Fraktionsvorsitzenden L. Gansukh vertreten. Lediglich die Mutterlandpartei glänzte durch Abwesenheit.
Zugegen waren auch die Mitglieder der für das Gesetz zuständigen Arbeitsgruppe, bestehend aus je vier Vertretern der DP und der MRVP, dem Ministerpräsidenten und dem Minister für Industrie und Handel sowie der Vorsitzende des Großen Staatskhurals, D. Lundeejantsan (alle MRVP).

*Lesen Sie ein Interview mit Frau Oyun im Anschluss an die Nachrichten.

Einheitliche Lehrbücher für die allgemeinbildenden Schulen
Einem Erlass des Bildungsministeriums zufolge sollen in Zukunft an den Schulen nur einheitliche Lehrbücher für die einzelnen Fächer verwendet werden.
In den letzten Jahren nutzten die Schüler, internationalen Beispielen folgend, unterschiedliche Lehrbücher. Bei Schulwechsel erwies sich das als hinderlich, aber auch bei der Durchsetzung einer einheitlichen Bildungspolitik.
Gegenwärtig bereitet das Ministerium die Erarbeitung der Lehrbücher für die Sechsjährigen vor.


V.l. D. Barcelona, B. Desmoulins, R. Hagan, P. Mehta, S. Oyun, Baatar, Sh. Noda. 19.02.08

Beratung über Ergebnisse und Perspektiven des UNO-Entwicklungshilfeprogramms
Am 19. Februar trafen sich die Repräsentanten internationaler und nationaler Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit zu ihrer jährlichen Rechenschaftslegung.
Gleichzeitig diskutierten die Teilnehmer die vorgelegten Pläne für 2007 bis 2011.
In ihren Grußworten lobten Außenministerin Sanjaasurengiin Oyun und die UNO-Repräsentantin in der Mongolei, Pratibha Mehti, die Arbeit der Mitarbeiter in den einzelnen Projekten.
Ch. Baatar, der Leiter der Abteilung multilaterale Zusammenarbeit im Außenministerium, legte den Rechenschaftsbericht bzw. stellte das Rahmenprogramm der UN-Entwicklungshilfe 2007 bis 2011 vor (Armutsreduzierung, Demokratie und Menschenrechte, Umwelt, Süd-Süd-Zusammenarbeit, Handel und Handelserleichterungen).
An der Veranstaltung im Außenministerium nahmen u. a. die Vertreter der WHO, Robert Hagan, des UN-Bevölkerungsfonds, Delia Barcelona und von UNICEF, Bertrand Demoulins, teil.

V. Parteitag der Bürgermutpartei
800 Delegierte aus den 21 Aimags und den neun Stadtbezirken (Duureg) Ulaanbaatars werden sich am 09. März zum V. Parteitag der Bürgermutpartei (Zivilcouragepartei) in Ulaanbaatar versammeln.
Die Delegiertenauswahl in den Grundorganisationen der Aimags, Sums und Duuregs soll bis zum 28. Februar abgeschlossen sein. In zehn Aimags und vier Duuregs erfolgte die Delegiertenwahl bereits bis zum 21.02.

„Partei für die Frauen" gegründet
„Mehr Frauen in die Politik", dieser Forderung könne nur entsprochen werden, wenn die Frauen eine eigene politische Partei gründen. Bisher sind Frauen öffentlich hauptsächlich in Nichtregierungsorganisationen aktiv geworden, die Hoffnung, über diese mehr politischen Einfluss zu gewinnen, habe sich nicht erfüllt.
Initiatorin und Parteivorsitzende ist die Sozialpsychologin B. Sarantsetseg.
Bisher zählte die Partei 400 Frauen in Ulaanbaatar und in den Aimags zu ihren Befürwortern, so Narantsetseg auf einer Presseveranstaltung am 21. Februar.
Männer seien als Berater zugelassen, jedoch nicht als Mitglieder.
An den Parlamentswahlen im Juni will sich die neue politische Partei mit vier bis fünf Kandidaten beteiligen.

Muss Khongor umgesiedelt werden?
Bei der Rechenschaftslegung des Ausschusses für Sicherheit und Außenpolitik ging es am 20.02. hauptsächlich um die Situation in Khongor (Darkhan-Uul-Aimag).
Eine internationale Expertengruppe arbeitet zurzeit an Ort und Stelle, um Haar- und Urinproben von ausgesuchten Bürgern (15- bis 35-jährige Frauen, über 35-Jährige) zu nehmen.
Obwohl in jüngster Zeit keine Beeinträchtigungen des Bodens, des Wassers und der Luft mehr festgestellt wurden, werden immer noch behinderte Kinder geboren, Tiere sterben, Einwohner kommen mit schweren Hauterkrankungen nach Ulaanbaatar, da ihnen in Khongor nicht mehr geholfen werden kann.
Die Ausschussvorsitzende B. Munkhtuya (DP) hat eingeräumt, dass unter der vorherigen Regierung die Situation falsch eingeschätzt und falsche Angaben verbreitet wurden.
Der neue Regierungschef hat dafür um Entschuldigung gebeten und die o. a. Maßnahmen eingeleitet.
Am 19. März wird die internationale Expertengruppe ihre Arbeit beendet haben und wir hoffen dann, endlich Klarheit darüber zu haben, ob und in welchem Maße Khongor geschädigt ist und ob eine Umsiedlung des Ortes nötig werden wird, so Munkhtuya weiter.

Hohe Viehverluste
Die Frühlingsfeiern sind vorbei, der Winter hat die Mongolei in Teilen immer noch im Griff.
Besonders in den Aimags Sukhbaatar, Bayan-Ulgii, Uvurkhangai, Zavkhan und Uvs haben die seit Dezember andauernden Minustemperaturen zwischen 30 und 50 Grad den Winterweidegang erschwert. Allein in den ersten zehn Februartagen sind 120 000 Stück Vieh verendet. Im Januar waren es 49 700 Tiere, davon 20 000 Ziegen, 15 300 Schafe, 9 300 Rinder, 5 000 Pferde und 60 Kamele.

Akademievollversammlung
An der ersten Sitzung der Akademie der Wissenschaften der Mongolei am 21. Februar im Regierungspalast nahmen 41 von 56 Akademiemitgliedern teil.
Nachdem D. Regdel den Rechenschaftsbericht über die Arbeitsergebnisse des vergangenen Jahres verlesen hatte, überreichte Staatspräsident N. Enkhbayar an Akademiepräsident B. Chadraa ein Schreiben mit der Forderung an die Akademie, den seit 1989 nicht mehr veröffentlichten Nationalatlas sowie die Allgemeinenzyklopädie neu herauszugeben.

Menschenhandel
In den letzten Tagen rückte ein Thema in den Focus der mongolischen Öffentlichkeit, das seit Beginn der neunziger Jahre immer einmal für Schlagzeilen sorgte, aber schnell wieder in Vergessenheit geriet: Menschenhandel. Die Opfer sind meist junge Frauen, die wiederum in den meisten Fällen zur Prostitution im In- und Ausland gezwungen werden.
Nachdem sich die Stiftung „Nutgiin Shiidel" und einige Frauenorganisationen an die Presse gewandt hatten, beriefen das Polizeipräsidium und die Staatliche Ermittlungsbehörde eine Pressekonferenz ein, um über die aktuelle Situation zu informieren.
Demnach wurden seit Beginn 2007 bis Februar 2008 150 Frauen und Mädchen vermisst, von denen die Polizei 141 ausfindig machen konnte. Unter den noch Vermissten neun Frauen sind eine 14-Jährige, zwei 16-Jährige und drei 17-Jährige.
Nach Tsagaan Sar verschwanden zwei Mädchen, von denen eine, Oyunbileg, bisher gefunden werden konnte. Von Enkhdagina fehlt nach wie vor jede Spur.
Oyunbileg wurde von der Straße weg mit Gewalt in ein Auto gezerrt. In diesem Zusammenhang wurde ein verdächtiger mongolischer Staatsbürger festgenommen.
Die Polizei hat Erkenntnisse darüber, dass ein internationales Netzwerk von kriminellen Banden am Werk ist, das junge Frauen überreden oder entführen lässt, um sie zur Prostitution zu zwingen. Sie werden in Hotels oder Wohnungen gebracht und in den meisten Fällen Ausländern „angeboten". Nach einiger Zeit lässt man die Opfer wieder frei.
Die Polizei bestätigte, dass in den ersten beiden Monaten des Jahres 81 Frauen vermisst wurden, 72 hat die Polizei inzwischen gefunden. Der Leiter der Presseabteilung des Polizeipräsidiums hat die politischen Parteien davor gewarnt, diese äußerst ernste Angelegenheit für politische Zwecke und im Wahlkampf zu missbrauchen.
Zu den Ursachen dafür, dass Mädchen von zu Hause weglaufen oder gar „verkauft" werden, zählen in erster Linie Armut und zunehmende Gewalt in den Familien.
Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die Mongolei immer mehr ein Land des Sextourismus geworden ist.
Der Demokratische Frauenverband fordert entsprechende Gesetzesreformen, um effektiver gegen Menschenhandel und damit im Zusammenhang stehende kriminelle Machenschaften vorgehen zu können.

Drillingsgeburt in Ulaanbaatar
In der Nacht zum 14. Februar brachte D. Tuul auf der Entbindungsstation im Mutter-und Kind-Forschungszentrum in Ulaanbaatar Drillinge – drei Mädchen – zur Welt.
Sie und ihr Mann Togtokhbayar stammen aus dem Javkhalant-Sum im Selenge-Aimag.
Am 17. Februar stellten sich die stolzen Eltern mit den 1,9, 2,3 und 2,4 kg „schweren" Mädchen zum ersten Mal der Öffentlichkeit. Eine Abordnung aus dem Javkhalant-Sum mit dem Sum-Vorsitzenden Nyamsuren an der Spitze gratulierte und brachte Geschenke.
Tuul und Togtokhbayar sind bereits Eltern von zwei Jungen und zwei Mädchen. Der älteste Sohn der Familie ist 19 Jahre, der jüngste fünf Jahre alt.

Teenagerschwangerschaften nehmen wieder zu
Auf einer Pressekonferenz im Informationszentrum des Presseinstituts in Ulaanbaatar informierten Mitarbeiterinnen des Mutter-Kind-Forschungszentrums über Geburtenzahlen, Müttersterblichkeit und zunehmende Schwangerschaften sehr junger Mädchen.
Erfreulich sei es, dass nach Jahren des Geburtenrückgangs wieder mehr Babys geboren werden. Im vergangenen Jahr waren es landesweit 55 000, davon 24 000 in Ulaanbaatar. Allein im Januar 2008 erblickten 5 100 neue mongolische Erdenbürger das Licht der Welt, 1 200 mehr als im Vergleichszeitraum 2007. Allerdings sei die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nach wie vor hoch.
Sorgen bereiteten auch die Schwangerschaften junger Mädchen im Alter zwischen 12 und 16.
Waren das im Jahr 2006 noch 100 stieg diese Zahl im vergangenen Jahr auf 250.


Ts. Oyunbaatar. 20.02.08

Kamelkarawane 2008
Am 21. Februar startet in Khanbogd, im Südgobiaimag, die Kamelkarawane 2008.
Sie führt über Dalanzadgad, Bayanzagd nach Mandal Ovoo, wo die „Karawane der 100 Kamele" am 07. März erwartet wird. Danach geht es am 01. November weiter nach Saikhan Ovoo über Arvaikheer nach Khujirt. Am 12. November wird die Karawane nach rund 1 000 Kilometern Kharkhorin (Karakorum) erreichen.
Auf einer Pressekonferenz berichteten der Vorsitzende des Kamelpoloverbandes der Mongolei, Ts. Oyunbaatar, der geschäftsführende Direktor, Ts. Mijigdorj und B. Suvd, die Generaldirektorin des Trachtenmuseums, über die Vorhaben beim diesjährigen „Temeeny Naadam" (Kamelfestival).
Zum sechsten Mal seit 2002 organisieren die Gobientwicklungsstiftung, der Kamelpoloverband und das Trachtenmuseum das Temeeny Naadam mit Kamelrennen, Modenschauen, Kamelhirten-Reality Shows, Gedicht- und Schönheitswettbewerben.
30 Mannschaften aus fünf Aimags, der Inneren Mongolei und Ulaanbaatar wetteifern um das schnellste Kamel, das beste kastrierte Kamel (atan temee), die beste Kamelstute (inge), das bestangezogene Kamelhirtenpaar. Außerdem wird der Sum mit den meisten Kamelen gewürdigt.
Die Veranstaltungen sollen helfen, die Bedeutung der Kamele für die Volkswirtschaft der Mongolei stärker ins Bewusstsein der Bevölkerung und der Politik zu rücken, den Kamelbestand zu schützen und zu erweitern. Dafür seien ein besseres Management der Halter und entsprechende Gesetze nötig.
Im Herbst wollen die Gobiaktivisten einen Gesetzesvorschlag einbringen, der vorsieht, die Kamelhaltung von Steuern zu befreien, Milchprodukte effektiv zu bewerben und die Kamelfleischpreise zu erhöhen. Außerdem sollen die Profite des Bergbaus zu denen der Kamelhaltung ins Verhältnis gesetzt werden: Ein Kilogramm Kamelwolle bringt auf dem Markt 10 000 Tugrug.
Der Einsatz der o. g. Organisationen gilt vor allem der Verbesserung der Lebensbedingungen der Gobibewohner. An den Erträgen des Bergbaus in ihrer Region sollten sie weitaus stärker als bisher beteiligt werden.
Weiter geplant sind die Errichtung eines Kamelsportkomplexes in der Nähe Ulaanbaatars und für 2010 eine Kamelkarawane „Auf den Spuren Marco Polos" von Venedig nach Kharkhorin.
In der Mongolei leben noch 250 000 zweihöckrige Kamele, mehr als die Hälfte der Weltpopulation. 1954 waren es noch 895 300!


Kamele werden immer seltener

Neueröffnung des Shukow-Museums
Anlässlich des 90. Jahrestages der Gründung der russischen Streitkräfte wurde am 22. Februar nach aufwendigen Renovierungsarbeiten das Marschall-G. K.- Shukow-Museum in Ulaanbaatar wiedereröffnet.
An der feierlichen Eröffnungszeremonie nahmen der Minister und stellvertretende Minister für Verteidigung der Mongolei, S. Batkhuyag und S. Baasankhuu sowie die Armeegeneräle M. A. Moiseew, die Kriegsveteranen (Khalkhyn Gol) F. F. Gaivoronskii und V. V. Korobushin teil.
Fjodor Gaivoronskii zeigte sich sehr bewegt. Nach 69 Jahren war er zum ersten Mal wieder in der Mongolei. „Unsere Freundschaft hat alle Widrigkeiten überstanden. Es ist überwältigend, die Zeugnisse unserer erfolgreichen gemeinsamen Kämpfe sorgfältig aufbewahrt zu sehen und alte Kampfgefährten zu treffen."

Jagvaralyn Otgondavaa ist tot
Der Journalist und Fotograf J. Otgondavaa ist am 17. Februar 2008 nach langer schwerer Krankheit gestorben. Er wurde nur 41 Jahre alt.
Otgondavaa gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Demokratischen Bundes, war Leiter der Revisionskommission des Vereinigten Journalistenverbandes und Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Deedsiin Amdral".
Die Medienschaffenden der Mongolei und die politisch aktiven Kräfte sind sich einig, mit Otgondavaa hat die demokratische Mongolei eine mutige, kämpferische Stimme verloren.
Seine Fotos – Porträts und Aufnahmen vom Leben in allen Teilen des Landes - wurden mehrmals ausgestellt und mit Preisen bedacht.
Otgondavaa wurde mit dem Orden der Freien Presse, dem „Goldenen Stern" des Demokratischen Bundes, als Verdienter Journalist und anderen Auszeichnungen geehrt.
Seine Fröhlichkeit und Freundlichkeit wird uns fehlen.
R. B.

Das Interview mit S. Oyun wurde ursprünglich für die vierte Ausgabe der in Berlin erscheinenden mongolisch-deutschen Zeitschrift „Super Nomad" aufgezeichnet. Diese war für Juli 2007 vorgesehen. Neuer Erscheinungstermin soll nach Auskünften des Chefredakteurs D. Batjargal Ende März 2008 sein. R.B.

 

Interview mit Dr. Sanjaasurengiin Oyun, Mitglied des Großen Staatskhurals, Vorsitzende der Bürgermutpartei, Vorsitzende der Zorig Foundation und seit Dezember 2007 Außenministerin in der Regierung S. Bayar
Ulaanbaatar, 20. Juni 2007

1. Biographisches

Herkunftsort, Familie
„Ich bin ein Kind Ulaanbaatars. Hier bin ich geboren und aufgewachsen".
Nach dem Abschluss der 23. Schule in der mongolischen Hauptstadt und einem erfolgreich absolvierten Geologiestudium an der Karlsuniversität Prag hat S. Oyun einige Jahre in Ulaanbaatar gearbeitet, ehe sie in Großbritannien an der Universität Cambridge in Geologie promovierte.
Danach begann sie im britischen Unternehmen „Rio Tinto" zu arbeiten.
Ihr Vater Sanjaasuren, ein Hochschullehrer, stammt aus dem Dornod-Aimag, aus einem der drei burjatischen Sums. Er starb, als Oyun noch zur Schule ging. Ihre Mutter Dorjpalam, eine Ärztin, erlangte in jungen Jahren Berühmtheit als Darstellerin einer Medizinerin in einem mongolischen Kinofilm.
Oyuns Großvater mütterlicherseits kam Anfang des 20. Jahrhunderts aus Russland in die Mongolei. In den „dunklen" 30-er Jahren wurde er vom KGB verhaftet, nach Russland verschleppt und ermordet.
Oyun hat zwei ältere Brüder. Einer arbeitet als Journalist, der andere, S. Zorig, Mitbegründer der demokratischen Bewegung in der Mongolei, Infrastrukturminister und als Ministerpräsident im Gespräch, wurde im Jahr 1998 ermordet. Dieser Mord gilt als größtes politisches Verbrechen in der jüngeren Geschichte der Mongolei.
S. Oyun ist verheiratet und Mutter eines Sohnes.

2. Sie sind Geologin, haben an der Universität gearbeitet? Was hat Sie daran gereizt, in die Politik zu gehen und damit an die Öffentlichkeit?

Der Grund, warum ich in die Politik gegangen bin, hängt mit dem Mord an meinem Bruder zusammen. Eigentlich wollte ich danach mit meiner Mutter nach Großbritannien ziehen, wo ich arbeitete. Während der Beisetzungsfeierlichkeiten in Ulaanbaatar und nach vielen Jahren Abwesenheit habe ich bemerkt, dass die mongolische Politik ein sehr ungesundes und schmutziges Geschäft und mein Bruder ein Opfer in diesem Geschäft geworden war.
Als seine Partei zu mir mit dem Vorschlag kam, in seinem Wahlkreis zu kandidieren, habe ich zugestimmt.
Nach einiger Zeit als Parlamentsabgeordnete habe ich immer besser verstanden, was alles zu tun ist in der Politik. Meine Position zu festigen, habe ich vor den Parlamentswahlen 2000 die Bürgermutpartei gegründet. Die mongolische Politik sollte fairen Spielregeln folgen und von Unternehmen, Finanzen und kriminellen Gruppierungen unabhängig werden, sonst werden alle Bemühungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen nutzlos und erfolglos sein und die Bürger nicht erreichen. Hauptursache der ungesunden Politik ist die Korruption, deswegen muss diese mit allen zu Gebote stehenden Mitteln bekämpft werden.

3. Ihre Funktionen? In welchen Ausschüssen arbeiten Sie mit?

Außer daran, meinen Wahlkreis und meine Partei zu vertreten, arbeite ich in den Ständigen Ausschüssen des Parlaments mit. Mitglied bin ich in den Ausschüssen für Außenpolitik und Soziales.
Im Vergleich mit der Parlamentsarbeit zwischen 2000 und 2004, als 72 MRVP - Abgeordneten nur vier Oppositionelle gegenübersaßen, haben wir jetzt bessere Möglichkeiten, die mit anderen ausgearbeiteten oder nur von mir vorgeschlagenen Gesetzesentwürfe umzusetzen.

4. Die Mongolei genießt internationale Reputation, sie ist in internationalen Gremien weltweit und in der Region aktiv. Gerade sind zwei wichtige internationale Konferenzen in Ulaanbaatar zu Ende gegangen. Wie schätzen Sie die wirtschaftliche und politische Lage in der Mongolei ein?

Das stimmt, die ökonomische Lage ist besser geworden. Aber wie die guten ökonomischen Kennziffern das wirkliche Leben der Menschen verbessert haben, kann ich nicht sehen. Der Haushalt kann ausgeglichen, ja sogar ein Plus aufweisen, die Währungs- und Goldreserven können gestiegen sein. Die Außenhandelsbilanz kann positiv sein. Wahrscheinlich hängt das mit den gestiegenen Weltmarktpreisen für Bodenschätze und Rohstoffe aus der Viehzucht zusammen. Diese Ereignisse müssen nicht von Dauer sein, deshalb sollten wir sie gut nutzen. Obwohl es die obengenannten positiven Statistiken gibt, können die Menschen nicht von ihren fair verdienten Löhnen leben, ist die Armut überhaupt nicht gesunken und ist die Arbeitslosigkeit immer noch hoch.
Ich denke, egal in welcher Gesellschaft, wenn es auf der politischen Führungsebene nicht „anständig" zugeht, wird die Lage weder in der Wirtschaft noch in anderen Bereichen besser werden.
In unserer Politik sollte man viele zweckmäßige Abgrenzungs- und Kontrollmechanismen einführen, sonst verkommt die Politik zu einem sehr großen, gewinnbringenden Geschäft.
Die Staatsmacht wird missbraucht für den eigenen Vorteil, für schmutzige Geschäfte. Dieses Business, in dem die in alle Macht- und Regierungsebenen eingedrungenen Gruppierungen tätig sind, ist sehr stabil, sie gehen sehr trickreich vor.
Das ist die Innen-, nicht die Außenansicht der Mongolei.

5. Ihre Haltung zu einem möglichen Wechsel vom parlamentarischen zum präsidialen Regierungssystem?

Natürlich, es gibt Kräfte im Verborgenen, die diesen Wechsel wollen. Es gibt sogar öffentliche Gruppen, die als „Arme und Beine" dieser Kräfte fungieren.
Ich denke, wir können vom parlamentarischen Regierungssystem nicht abrücken, das hieße auf halbem Wege umkehren. Wir standen fast ein ganzes Jahrhundert unter sowjetischem Einfluss. Es gibt anschauliche Beispiele der Länder Mittel- und Zentralasiens, die sich von Russland gelöst haben. Man bezeichnet sie komischerweise als Länder des „entwickelten Feudalismus". Ihr Beispiel kann uns nicht als Wegweiser dienen. Wir müssen unseren Prinzipien und Werten treu bleiben. Wir dürfen vor den Kräften, die Verantwortung fürchten, nicht in die Knie gehen.
Der Parlamentarismus muss als die Seele der mongolischen Demokratie bewahrt werden.

6. Bergbau, vor allem der illegale Goldbergbau mit giftigen Substanzen, verursachen Umweltschäden, die sozialen Probleme der „Ninjas" sind bisher nicht genügend beachtet worden.
Welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie?

Zuerst möchte ich meine Meinung über die Bergbauunternehmen äußern. Viele Jahre haben wir gedacht, es genüge, wenn ausländische Investitionen ins Land fließen.
Ein Bergbaubetrieb errichtet ein Gebäude, aber darin werden keine Produkte hergestellt. Er greift in unsere Natur ein, entnimmt ihr, was lohnenswert scheint. Man zahlt ein paar Tugrug in den Staatshaushalt ein, einige Leute finden für kurze Zeit einen Arbeitsplatz, verrichten einfache, schwere Tätigkeiten.
Wir müssen darüber nachdenken, dass schon seit zehn Jahren Einheimische und Fremde nach Gold graben, sie schädigen unsere Natur. Hat sich das Leben der Mongolen dadurch verbessert?
Wir müssen die ausländischen Investitionen hinsichtlich ihrer technischen und technologischen Werte sorgfältig prüfen. Dann müssen wir sehr hohe, sehr strenge Kriterien dafür festlegen. Nicht nur im Bergbaubereich.
Sie kommen, in der einen Hand ein paar Tugrug, in der anderen Hand Quecksilber, geben unseren Bürgern Arbeit und Lohn, nehmen unser Gold, verwüsten unsere Natur und verschwinden wieder. Wir berichten dann darüber als Erfolg bei der Gewinnung ausländischer Investoren.
Hohe technologische Standards müssen auch für die einheimischen Bergbaubetriebe gelten. Man sollte Acht geben, dass die Probleme der sogenannten „Ninjas" nicht aufgebauscht werden. Viele Politiker versprechen, dass sie die sozialen Probleme der Ninjas lösen wollen. Aber bis jetzt ist nichts geschehen.
Nicht die Ninjas sind das Problem. Der Bergbau, auch der Mikrobergbau muss organisiert, von der Regierung und der Öffentlichkeit kontrolliert werden. In den nächsten zwei Jahren sollten die entsprechenden Regularien wirksam werden.
In der Mongolei sollte es überhaupt keine „Ninjas" geben. Alle sollten in ihren erlernten Berufen arbeiten und sich dadurch ein menschenwürdiges Leben ermöglichen können.
Durch eine entsprechende Politik will ich mit dazu beitragen, dafür die Voraussetzungen zu schaffen.

7. Ihr Wahlkreis liegt im Dornod-Aimag. Die Unterschiede in den Lebensbedingungen der Land- und Stadtbevölkerung werden eher größer als kleiner. Ihre Meinung dazu?

Mein erster Wahlkreis, der Wahlkreis 17, lag tatsächlich in Dornod. Ich wurde dort 1998 und 2000 gewählt. Dafür bin ich den Menschen sehr dankbar.
Im Jahre 2004 wurde ich im 69. Wahlkreis im Songinokhairkhan-Distrikt von Ulaanbaatar gewählt. Aber ich kenne natürlich die unterschiedlichen Lebensbedingungen der Land- und Stadtbevölkerung. Ich denke, um diese Unterschiede zu vermindern, braucht man andere Verfahren, als in anderen Ländern. Unsere ländliche Bevölkerung lebt sehr weit verstreut. Ihre Haupttätigkeit ist die Viehzucht. Wenn man unter Angleichung der Lebensbedingungen die Urbanisierung der ländlichen Bevölkerung versteht, so ist das unmöglich für ein nomadisches Land, in dem es wenige Städte gibt, weil Nomaden die nicht brauchen.
Einfach ausgedrückt, in Ulaanbaatar existiert eine urbane Kultur, auf dem Land eine Nomadenkultur.
Anders sieht es aus, wenn die unterschiedliche Gesundheitsversorgung und der Zugang zu Bildung gemeint sind.
Nach den politischen und wirtschaftlichen Umgestaltungen seit Anfang der 90-er Jahre des 20. Jahrhunderts hat sich der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, zu Bildung und Ausbildung für die Landbevölkerung verschlechtert.
Je mehr sich die wirtschaftliche Lage verbessert, desto besser werden die staatlichen Institutionen in der Lage sein, diese Defizite zu beseitigen. Es ist eine Frage des politischen Willens.

8. Ihre Meinung zum novellierten Wahlgesetz, zur Frauenquote?

Diese beiden Entscheidungen gehören tatsächlich zu den wichtigsten Erfolgen in der Parlamentsarbeit der vergangenen Jahre.
Die Parlamentswahlen 2000 und 2004 waren sehr trickreich. Die die Macht ausübenden politischen Führungskräfte scheuten sich nicht, den Staats- und Verwaltungshaushalt zu mobilisieren und auszunutzen. Sie hatten jede Zurückhaltung verloren. Zwischen den Parteien und Kandidaten wurde gekungelt, lokale politische Bedienstete und die Medien gekauft, es war üblich, die Wähler mit Geldgeschenken zu ködern.
Die durch die Änderungen am Wahlgesetz eingeführten Mechanismen haben dem enge Grenzen gesetzt, hoffe ich. Hinzufügen möchte ich, dass auch die Änderungen am Parteiengesetz diesem Ziel dienen sollten.
Die Einführung der Frauenquote ist ein großer Fortschritt, ich fürchte jedoch, dass es bereits Versuche gibt, sie aufzuweichen. Es ist zu hoffen, in der knappen Zeit, die bis zu den Parlamentswahlen verbleibt, werden diese Versuche zum Scheitern verurteilt sein.

*Oyun hatte mit ihren Befürchtungen Recht. Die Frauenquote wurde mit den Stimmen der Parlamentsmehrheit aus dem Wahlgesetz gestrichen.R.B.

9. Wie schätzen Sie das Klima im Großen Staatskhural ein? Frauen-Männer; Parteien; Frauen der verschiedenen Parteien?

Das Klima im Großen Staatskhural ist sehr schwierig. Vor allem, nachdem die größte Oppositionspartei, die DP, der Regierung nicht mehr angehört, ist es kompliziert geworden. Das ist einerseits verständlich, weil die Regierung nicht sehr fähig, mit vielen Interessenkonflikten beladen und ein sehr buntes Team ist.
Einen Frauen-Männer-Konflikt gibt es in unserem Parlament nicht. Dafür sind offene und verborgene Gruppenbildungen zwischen den Parteien und innerhalb der Parteien keine Seltenheit.
Dem Großen Khural gehören fünf Frauen an. Wir haben nicht das Bedürfnis, uns zu bekämpfen.

10. Die Mongolei ist das Land mit den höchsten Zuwendungen im Rahmen der internationalen Entwicklungszusammenarbeit pro Kopf der Bevölkerung.
Die Armut konnte trotzdem nicht entscheidend verringert werden. Worin sehen Sie die Ursachen?

Es fehlt an Produktion. Es fehlt an einer Politik zur Förderung der Produktion.
Außer den in die Hände der großen und kleinen Chefs gefallenen „kleinen und mittleren Betriebe" gibt es nichts. Deswegen fehlen Arbeitsplätze. Es ist unmöglich, Arbeit zu finden. Es ist unmöglich, ein Einkommen zu erwirtschaften. Die Menschen können nicht zufrieden und vertrauensvoll leben. Die geplagten Menschen sollten pro Arbeitsstunde bezahlt werden. Die Bürgermutpartei hat bereits vor einem Jahr die Einführung eines Mindeststundenlohns von einem einen USD vorgeschlagen. Falls die Regierung unsere Vorschläge nicht annehmen kann, könnte sie uns mindestens die Gründe dafür, aufgrund welcher Untersuchungen diese Vorschläge nicht annehmbar sind, nennen. Sogar dafür fehlt dieser Regierung die Fähigkeit. Es gibt keine Partei, die sagt: "Euer Vorschlag ist richtig". Eine Partei, die sagt, „Lasst uns gemeinsam nach Möglichkeiten suchen", fehlt.
Es ist bedauerlich, dass wir die Worte „Das fehlt, das gibt es nicht, das können wir nicht, das wollen wir nicht" das ist einfach herz- und gewissenlos" so oft sagen müssen, aber es anders auszudrücken, ist unmöglich.

11. Auf welchem Wege soll den Opfern von Kreditgenossenschaften geholfen werden?

Kurz gesagt, das Geld soll von den bekannten und den versteckten Gaunern zurück erstattet werden. Wie könnte anders geholfen werden?
Das muss vom Staat veranlasst werden. Deshalb ist es richtig, dass sich die Geschädigten an den Staat gewandt haben. Sie wollen niemanden ins Gefängnis bringen. Sie wollen ihr verlorenes Geld zurück. Ein Jahr ist vergangen. Das ist eine ausreichende Zeit, wenn nicht für die Entschädigung aller Opfer, dann zumindest für die Feststellung, wo und in welcher Form sich das verlorene Geld finden lässt. Die Geschädigten wurden bisher nicht aus dem Vermögen der Kreditgenossenschaften entschädigt. Dafür soll am Ende des Jahres Geld aus dem Staatshaushalt, also das der Steuerzahler, herangezogen werden.
Das kann nur im Interesse der Leute liegen, die die Gaunereien zu verantworten haben oder davon profitierten.

12. Was halten Sie vom Bau eines neuen Parlamentsgebäudes im Park nördlich des Regierungspalastes?

Gemeinsam mit dem Abgeordneten unserer Partei, M. Zorigt und einigen anderen Abgeordneten gehören wir zum "Grünen Bund" innerhalb des Großen Staatskhurals.
Wir sind dagegen. Wir alle wissen, wie knapp die Grünflächen in Ulaanbaatar sind. Wir alle wissen, wie schlecht die Luft in Ulaanbaatar ist. Deshalb ist es unverständlich, dass einer von zwei Parks, die seit 40 bis 50 Jahren wachsen und der Erholung dienen, verschwinden soll.
Der Grüne Bund hat bisher 15 Unterschriften gegen das Vorhaben gesammelt. Wir denken, es werden noch mehr.

13. Welches Ziel setzt sich die Bürgermutpartei für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr?
Streben Sie eine Koalition an? Wenn ja, mit welcher Partei?

Wir sind keine Partei, die Bündnisse und Zusammenarbeit ablehnt. Wir freuen uns über jeden und jede der neuen, jungen Generation und auch über Frauen, die für uns kandidieren wollen.

15. Was tun Sie am liebsten in Ihrer knapp bemessenen Freizeit?

Seit der Geburt unseres Sohnes unternehmen wir, mein Mann, ich und unser Sohn sehr gerne Ausflüge.

 

Frau Dr. Oyun, wir danken Ihnen für das Interview.


   

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