"Eiserner Drachen" in Berliner Mensa!
Aber: "Bituuleg" nur als bescheidenes Kunstwerk
Von Hugo Kröpelin

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Erdenebat (© Hugo Kroepelin)

Eisiger Wind fegt über den Platz. Aus den Fenstern der Steinbaracke am Nordrand dringt Lichtschein. Auf dem "Pferdeparkplatz", an einer zwischen zwei Masten gespannten Leine, harren einige Rösser aus, hin und wieder schütteln sie den Schnee ab.. Neben ihnen sind zwei Jeeps abgestellt. Gegen Abend werden es noch mehr Fahrzeuge sein, denn erwartet werden noch Verwandte aus der Hauptstadt.

Man muss die Tür nicht öffnen, um zu erfahren, was hier zum "Bituuleg", dem traditionellen mongolischen Silvesteressen, serviert wird. Der Duft frischgekochten Hammelfleisches ist schon Meter vorher wahrnehmbar. An dem langen Tisch haben schon zwei Dutzend Menschen Platz genommen, vor ihnen ein noch dampfender Hammelrücken. Der "negdlijn darga", der Vorsitzende der Genossenschaft, bittet seine ausländischen Gäste, zum Messer zu greifen und sich Fleisch abzusäbeln. Herumgereicht werden Flaschen in "blauen Deels", den Etiketten mit der Aufschrift "Archi". Dieser mongolische Wodka wird wohl in jeder Stadt gebrannt, in der nach sowjetisch-mongolischen Projekten ein Lebensmittelkombinat gebaut wurde. Beim Zuprosten geht die linke Hand zum rechten Unterarm als Zeichen ehrlicher Zuneigung und dafür, dass man kein Messer im Ärmel verbirgt.

Der Darga, der auch noch Bürgermeister des Somons ist, wird später in seiner Rede noch von den Zehntausenden Stück "tawan khoschuu mal", den fünf Arten von Nutztieren, die man hält und von denen man in diesen Tagen die ersten neugeborenen Lämmer erwartet. Viele Schafhirten sind in dieser Zeit mit einem Sack unterwegs, um die "Säuglinge" aus der klirrenden Kälte zu bergen und in eine leicht beheizte Jurte zu bringen. Aber der Winter hält sich in Grenzen. Weder der "Zagaan dsud" (Schnee deckt das auf dem Halm getrocknete Gras zu, verharrscht und macht es für das Vieh fast unerreichbar) noch der "Khar dsud" (auf der Winterweide fehlt Schnee, den das Vieh für die Flüssigkeitsaufnahme braucht) haben sich bisher eingestellt. Auszeichnungen gibt zum "Zagaan sar" in der Baracke, der ist etwa seit 1960 auch der landesweite Ehrentag der Genossenschaftsviehzüchter.

Am anderen Morgen ist der Kopf dank vielem fetten Hammelfleisch, "suu tej zai", dem Tee mit Milch, und etwas Mineralwasser gar nicht so schwer. Es gibt keine geschlossene Schneedecke, trotzdem ist das Licht auf den Platz im Sumyn töw, dem Zentrum des Dorfes, schon in grelles Sonnenlicht getaucht. Über den Platz stapfen in dick gefüttterten Deels und Pelzmützen vermummte Kinder in Filzstiefeln, die beidhändig kleine Päckchen vor sich hertragen. Geschenke sind das für Verwandte im Dorf. Manche haben ihre Heimlichkeiten in das "tos", das lange breite Band gewickelt, das den Deel umschließt. Man hat ideal die Hände frei, die man zum Reiten braucht.

Ein Pferderennen ist meist angesagt für den ersten Tag des neuen Jahres, so um die Mittagsstunde, wenn die Besuche bei Verwandten, Nachbarn und Freunden zu Ende gehen. Am späten Nachmittag brechen die ausländischen Gäste wieder auf. An den Jurten abseits der Piste sehen sie immer noch Gratulationszeremonien. Die jüngeren Männer neigen sich den Älteren zu, legen ihre Hände unter deren Unterarme und erweisen ihnen so ihre Hochachtung.

So habe ich den "Zagaan sar", das Neujahrsfest nach dem buddhistischen Mondkalender, in Erinnerung. Etwas verschwommen, aber unvergesslich, weil einmalig.

Und nun "Zagaan sar" in Berlin. Der gehört natürlich hierher, denn laut Berliner Statistik von Mai 1997 leben in der deutschen Hauptstadt mindestens 1009 Mongolen. Offiziell registrierte jedenfalls. Die Einladung erreichte mich eher zufällig und viele andere Freunde der Mongolei vielleicht gar nicht. Vielleicht erhält Frank Voßen vier Wochen vor dem kommenden Jahreswechsel die Original-"Urilga" und eine Übersetzung zum Einscannen für MongoleiOnline.de. Ich bin sicher: es gibt auch in Berlin schon ausreichend am Computer gedrillte Mongolen, die eine Einladung selbst internet-gerecht erstellen und zu Frank senden können.

"Zagaan sar" also in der Mensa in der Hardenbergstraße. Über die Anfangszeit 19 Uhr kann man sicher streiten, schließlich ist da das Neue Jahr in der Heimat schon zwei Stunden alt. In Berlin sind die Kinder noch nicht im Bett, weil gerade per Telefon Glückwünsche und die neuesten Informationen ausgetauscht wurden. Der Saal war noch lange nicht voll, als der Moderator, ein Schauspielstudent, den Abend eröffnete. Begrüßen konnte Gerelsukh auch ein reichliches Dutzend Deutsche. Heinz Krense zum Beispiel, der schon in den 70er Jahren als Fleischausschneider im Kombinat arbeitete, wenn die Tuwaartschid, die Viehtreiber, mit Tausenden Schafen, Ziegen und Rindern das Kombinat stürmten. Dr. Aribert Kampe, ein Geologe, der das Innere der Mongolei seit den 60er Jahren nach wertvollen Mineralien und Erzen durchbohrt hat. Oder Karl Mette, den Vize-Chef des früheren Staatsguts Waßmannsdorf, wo der Nachwuchs des Staatsguts Bornuur Theorie und Praxis tankte. Klaus Bormann und seine Renate von der Deutschen Mongolei Agentur, die gerade auf Heimaturlaub sind. Und Ex-Mitarbeiter verschiedener Ebenen der Ex-DDR-Botschaft.

 

"Bituuleg" gab es auch, allerdings nur als ein mit Wasserfarben gestaltetes Kunstwerk am Eingang zum Speisesaal. Der "Eiserne Drachen", der uns nun weiter durch den XVII. Sechziger-Zyklus begleitet, war auf der Bühne dargestellt. Trotz "neg undaa unegui" (ein Getränk kostenfrei) für 20 Mark kam doch rechter Frohsinn auf. Dafür sorgten zwei Verdiente Künstler, die extra aus Ulaanbaatar eingeflogen waren: Sossorbaram und Erdenebat. Von "Urtyn duu" bis zu modernsten mongolischen Volksliedern und Schlagern beherrschten sie alles. Sossorbaram offenbarte auch sein kabarettistisches Talent und erzählte eine Reihe von Witzen. Dabei ist es kein Witz, dass erstmals eine mongolische Nationalmannschaft zur Qualifikation für die Fußball-Weltmeisterschaft antritt. Ein 40 000-Mann-Stadion gibt es schon lange. Genauso könnten Mongolen – wie die Kasachen - an der Vier-Schanzen-Tournee teilnehmen. Aber dafür müsste endlich eine Schanze in Khandgait gebaut werden.

Als der Saal dann mit etwa 300 Personen reichlich voll war – auch Außenstellenleiter Damdinshaw hatte sich eingefunden - , nahm die Lautstärke mächtig zu. Die Mädchen, deren Namen aus den 200 Dezibel starken "Schallbombentrichtern" besungen wurden, hießen nicht mehr Narangerel, Zezegmaa oder Ojuuntschimeg. In der Stunde vor Mitternacht tanzte das vorwiegend akademische Volk nach Weisen, in denen Monika, Julia und Jessica angehimmelt wurden.

Ob ich bei diesem "Zagaan sar" etwas vermisst habe? Natürlich Makh, Khonij makh, Sprich: Hammelfleisch! Vielleicht kann der neue Verein Mongolischer Studenten in Berlin das in die Hand nehmen? Wenn jeder der über 1000 Mongolen in Berlin monatlich eine Mark opfert, dann lässt sich in der deutschen Hauptstadt das größte Neujahrsfest außerhalb der Mongolei zelebrieren. Um Schafe zu kaufen, muss man gar nicht so weit fahren.

Doch Spendenbereitschaft ist vorrangig in anderer Richtung gefragt. Erst nach dem "Zagaan sar" traf die Hiobsbotschaft in Berlin ein, dass in mehreren westlichen Bezirken durch den Dsud bisher fast 400 000 Stück Vieh umgekommen sind. Am 1. März berichtete die Agentur Monzame unter Berufung auf die Tageszeitung "Mongolyn medee", dass in 144 Sums (Kreisen) 1,093 Millionen Stück Nutztiere umgekommen sind. Dabei haben offensichtlich die Bezirke Mittelgobi (293.700), Öwörkhangai (273.900) und Uws (171.800) die größten Verluste zu beklagen.

Der Kinder- und Jugendring Bonn hat seinen Erlös von der Silvesterfeier einem Projekt zur Unterstützung von Viehzüchterfamilien gewidmet. Erst danach kamen die Nachrichten von vom Ausmaß der Katastrophe. Einzelheiten darüber gibt es beim Stab der Regierung

(Tel. 00976 11 10122 o. 320004, Fax: 310011).

Wer zur Linderung der Not der Araten beitragen möchte: Die Handels- und Entwicklungsbank in Ulaanbaatar hat dafür das Konto-Nr. 21 15 325 eingerichtet.

Quelle: mit freundlicher Genehmigung von Hugo Kröpelin, News Stories Photos aus Berlin und Brandenburg
(Februar 2000)


   

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Last Update: 03. Januar 2022